Der Wald der Könige
Vorteile, denn er schützte ihn vor Leuten, die ihn nur ausnutzen wollten. Doch es amüsierte ihn, wenn ein junger Mann wie Totton ihm den Respekt verweigerte. Und außerdem war es in diesem Fall er selbst, der beabsichtigte, Edward Totton für seine Zwecke einzuspannen.
Mr. Wyndham Martell befand sich in der beneidenswerten Lage, sich bei niemandem beliebt machen zu müssen. Er war Herr eines großen Gutes, zukünftiger Erbe eines zweiten, Absolvent von Oxford und gut beleumundet. In den Kreisen, in denen er verkehrte, fanden auch die bösesten Zungen nichts an ihm auszusetzen. Seine – wenngleich distanzierte – Höflichkeit entsprang seinem stark ausgeprägten Pflichtgefühl. Während viele begüterte junge Männer seiner Gesellschaftsschicht Gefahr liefen, dem Spiel oder der Völlerei zu verfallen, war Martell eher geistigen Zerstreuungen zugetan. Seine Eitelkeit sorgte dafür, dass er sich stets gut darstellte. Und er war zu dem recht vernünftigen Schluss gelangt, dass es bei einem Mann in seiner Position nur als Koketterie gewertet werden würde, wenn er sich bescheiden gab. Seiner Familie zuliebe und auch um seiner selbst willen hatte er sich vorgenommen, es in der Welt zu etwas zu bringen, und er konnte es sich leisten, Bedingungen zu stellen. Er sah sich als unabhängigen Politiker – eine Spezies, wie sie zu jeder Zeit nur selten anzutreffen ist, und er beabsichtigte nicht, sich kaufen zu lassen. Und wer daraus schloss, dass sein Stolz tatsächlich über das gewöhnliche Maß hinausging, hatte durchaus Recht.
Der wahre Grund für seinen Besuch beim jungen Edward Totton – den er wirklich sehr gern hatte – war, dass Lymington, das praktischerweise zwischen seinen beiden Gütern lag, zwei Parlamentsmitglieder stellte.
»Und ich denke«, hatte er vor kurzem seinem Vater bekannt, »dass ich nach der kommenden Wahl gerne einer von ihnen wäre.« Dazu musste er aber die vierzig Kopf starke Bürgerversammlung, die von den Kaufleuten und Freibauern der Stadt gewählt wurde, und den Bürgermeister von Lymington, Mr. Burrard, für sich gewinnen.
Martells Vater hätte es lieber gesehen, wenn sein Sohn sich für einen Sitz in der Grafschaft beworben hätte, denn diese hatten für gewöhnlich die Torys inne, während Lymington wie die meisten Handelsstädte einmütig die Whigs unterstützte. Die Torys standen traditionell hinter dem König, die Whigs hingegen waren Anhänger des nach 1688 gegründeten Parlaments. Sie waren zwar treue Verfechter der Monarchie, fanden aber, dass es nötig sei, die Macht des Königs einzuschränken. Allerdings traten diese Unterschiede im Alltag häufig nicht zu Tage. Viele Großgrundbesitzer waren Whigs, denn die Parteizugehörigkeit hing oft von familiären Verbindungen ab. Selbst der König zog manchmal einen Whig einem Tory vor. Deshalb unterschieden sich die Interessen des Baronets Sir Harry Burrard und des Kleinadels von Lymington eigentlich nicht sehr von denen des Aristokraten Mr. Martell.
Nur zwei Dinge an Mr. Martells Verhalten an diesem Morgen wären seinen Zeitgenossen wohl seltsam erschienen: Wenn er einen der Parlamentssitze von Lymington anstrebte, warum zum Teufel schrieb er dann nicht einfach an Burrard oder traf sich mit ihm in London? Und was noch merkwürdiger war: Weshalb hatte Martell für seine Reise nach Lymington absichtlich einen Zeitpunkt gewählt – er hatte nämlich Erkundigungen eingezogen –, zu dem der Baronet gar nicht in der Stadt weilte?
Die Antwort war ganz einfach: Da er Abgeordneter für Lymington werden wollte, hielt er es für angebracht, zuerst wie ein guter General die Lage zu sondieren.
Bürgermeister Burrard mochte möglicherweise Anstoß daran nehmen, wenn ein Freund der Großgrundbesitzer in seiner Stadt herumschnüffelte. Aus diesem Grund hatte Martell beschlossen, sich unter dem Vorwand eines Besuchs beim jungen Totton ein wenig umzusehen. Wenn er am Ende der Woche gut genug Bescheid wusste, wollte er den endgültigen Entschluss fassen, ob und unter welchen Voraussetzungen die Angelegenheit voranzutreiben sei.
Außerdem kannte er hier abgesehen von Edward zwei reizende junge Damen. Louisa Totton war ein hübsches, lebhaftes Mädchen. Und Miss Albion war zwar keine Schönheit, aber dafür sehr sympathisch.
»Du musst zugeben«, sagte Edward Totton ruhig zu seiner Schwester, während sie darauf warteten, dass ihr Gast aus dem Haus kam, »dass ich dir nur die Besten vorstelle.«
Mr. Wyndham Martell war der dritte Junggeselle,
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