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Der Wald der Könige

Der Wald der Könige

Titel: Der Wald der Könige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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die Wolken stahl, dass das Haus so düster wirkte. Es war so alt mit seinen nackten Giebeln, und der grüne Rasen ringsum wurde von Bäumen förmlich umzingelt. Die Ziegelmauern waren dunkel wie Blutflecke. Das gewellte Dach wies darauf hin, dass sich darunter ein alter hölzerner Dachstuhl aus der Tudorzeit verbarg. Die Fenster wirkten kahl, sodass man hätte meinen können, das Haus wäre unbewohnt und nur noch von den Geistern bevölkert. Jahr um Jahr würden sie dort verharren, bis das ganze Gebäude allmählich zur Ruine verfiel.
    Eine hoch gewachsene Frau empfing sie an der Tür. »Mrs. Pride, die Haushälterin«, sagte Edward leise. Martell glaubte, einen argwöhnischen, ängstlichen Ausdruck in ihren Augen zu erkennen.
    Die letzten Tage waren für Fanny nicht leicht gewesen. Um die Gesundheit ihres Vaters stand es sehr schlecht, und er hatte viel geklagt. Einmal hatte er sogar einen Wutanfall bekommen, was sehr ungewöhnlich für ihn war. Deshalb hatte Fanny am Vortag und auch heute fast ständig bei ihm gesessen. Und obwohl er ein wenig Tee, etwas Brühe und ein Glas Wein zu sich genommen hatte, sah es aus, als würde er den großen Ohrensessel neben seinem Bett, wo er in eine Decke gehüllt saß, nicht mehr verlassen.
    Fanny war erschrocken, als Mrs. Pride ihr vor einer halben Stunde den Besuch der jungen Tottons und Martells angekündigt hatte.
    »Wir werden sie nicht empfangen!«, rief sie aus. »Was Vater betrifft… Oh, Mrs. Pride, Sie hätten mich zuerst fragen sollen.
    Sie hätten ihnen nicht erlauben dürfen zu kommen.« Mrs. Pride entschuldigte sich: Sie habe angenommen, damit nur Miss Albions Wünschen zu entsprechen. Jetzt sei es zu spät für eine Absage. »Also machen wir das Beste daraus«, sagte sie.
    Doch zu Fannys großem Erstaunen erholte sich ihr Vater auf wundersame Weise, als sie ihm von den ungebetenen Besuchern berichtete und versprach, sie wegzuschicken, sobald die Höflichkeit es gestattete. Er war zwar noch ein wenig gereizt, bestand aber darauf, dass sie ihm einen Spiegel, ein sauberes Halstuch, Schere, Bürste und Pomade brachte. Innerhalb kürzester Zeit scheuchte er alle Dienstboten auf, sodass Fanny sich rasch davonstehlen konnte, um sich ihrem eigenen Äußeren zu widmen.
     
     
    Als die Gäste, das graue Tageslicht im Rücken, zur Tür hereinkamen, stand Fanny oben auf der Treppe. Zuerst trat Edward ein, gefolgt von Louisa und Mr. Martell. Edward Totton sah sich um. Und kurz bevor sich die schwere Tür hinter ihnen schloss, wandte sich Louisa an Mr. Martell und sagte etwas, worauf er sie leicht am Arm berührte. Wie blass sie aussieht, hier auf der dunklen Treppe, dachte er, als Fanny ihnen entgegenschritt. In ihrem langen Kleid wirkte sie wie eine Geistergestalt aus einem alten Theaterstück. Die Erschöpfung hatte sich in ihren Gesichtszügen eingenistet.
    Wortlos brachte sie ihre Gäste in den Salon mit der alten Holztäfelung und entschuldigte sich dafür, dass sie nicht besser auf Besuch vorbereitet sei. Anschließend erkundigte sie sich höflich nach Martells Gesundheit und nach seiner Familie.
    Als Louisa die Einladung zum Tee bei Mrs. Grockleton schilderte, huschte ein leichtes Lächeln über Fannys Gesicht. Louisa gab eine wunderbare Imitation von Mr. Grockleton zum Besten, wie er sich das Blumenwasser übers Bein geschüttet und dann den Strauß zurück in die Vase gesteckt hatte, und nun stimmte auch Fanny in das allgemeine Gelächter ein.
    »Sie sollten zur Bühne gehen, Miss Totton«, verkündete Martell mit einem amüsierten Kopfschütteln und einem anerkennenden Blick in ihre Richtung. »Das Beisammensein mit Ihrer Cousine, Miss Albion«, meinte er zu Fanny, »ist wirklich ein ausgesprochenes Vergnügen.«
    »Das freut mich aber«, erwiderte Fanny müde.
    Doch das fröhliche Geplänkel fand ein jähes Ende, als der alte Mr. Albion ins Zimmer trat. Mit der einen Hand stützte er sich auf einen Spazierstock mit silbernem Knauf, der andere Arm wurde von Mrs. Pride gehalten. Seine Seidenhose, seine Weste und sein Halstuch waren makellos rein, sein schneeweißes Haar war ordentlich gebürstet. Der Rock schlotterte dem Greis um den mageren, gebrechlichen Körper. Als er langsam durch den Raum auf einen Stuhl zuging, schien es, als nehme er seine letzte Kraft zusammen, um seine Gäste würdevoll zu begrüßen.
    Wie so oft in Anwesenheit eines alten Menschen richteten die Besucher nacheinander das Wort an ihn. Da Mr. Albion den Gast noch nicht kannte, war dieser

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