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Der Wald der Könige

Der Wald der Könige

Titel: Der Wald der Könige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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Vikar.
    »Er hat sich heute Nachmittag so aufgeregt, Sir, dass es mich nicht wundern würde.«
    »Ich glaube fast«, meinte Mr. Gilpin später zu seiner Frau, »dass Mrs. Pride ihm etwas eingeben wird.«
    »Gehört sich das denn, Liebling?«, verwunderte sich seine Frau.
    »Ja«, antwortete Mr. Gilpin.
    Also hatte er sich an diesem Morgen vergnügt in seiner leichten, zweirädrigen Kutsche auf den Weg gemacht. Zuerst hatte er den kleinen Furzey von der Schule abgeholt. Er wusste, dass er das besser nicht hätte tun sollen. Doch der Junge war so klug, dass der Geistliche der Verlockung nicht widerstehen konnte, seine Bildung zu mehren.
    Bei seiner Ankunft in Haus Albion erfuhr er, dass Mr. Albion tief und fest schlief. Mr. Gilpin war versucht, ein Stoßgebet zum Himmel zu schicken und ihm die ewige Ruhe zu wünschen. Dennoch war es nicht leicht, Fanny zum Mitkommen zu bewegen. Wie sich herausstellte, lag das nicht an der Angst, ihren Vater allein zu lassen, sondern daran, dass sie sich nach der gestrigen Blamage vor einer Begegnung mit Mr. Martell fürchtete.
    »Mein liebes Kind«, versicherte ihr der Vikar. »Sie haben sich überhaupt nicht blamiert. Der Ausbruch Ihres Vaters war zwar völlig unberechtigt, doch er hat sich für einen Mann seines Alters wacker geschlagen.«
    »Aber dass Mr. Martell in unserem Haus ein solcher Empfang bereitet wurde…«
    »Meine liebe Fanny«, entgegnete Mr. Gilpin schlau, »da Mr. Martell wahrscheinlich meist von Speichelleckern umgeben ist, weiß er die Abwechslung sicher zu schätzen. Außerdem«, fügte er hinzu, »habe ich keine Ahnung, ob Ihre Cousins wirklich nach Beaulieu gefahren sind. Also werden Sie vielleicht mit mir und dem kleinen Furzey vorlieb nehmen müssen. Bitte, kommen Sie mit. Ich muss nämlich unterwegs noch einen Brief in Lyndhurst abgeben.«
    Nun ließ Mr. Gilpin sich von den beiden Tottons in die Mitte nehmen. Fanny folgte mit Mr. Martell.
    Mr. Martell gelang es, Fannys Verlegenheit wegen des gestrigen Zwischenfalls zu verscheuchen. Er scherzte sogar, er sei zwar noch nie aus einem Haus geworfen worden, es werde jedoch gewiss nicht das letzte Mal bleiben. »Wirklich, Miss Albion, Ihr Vater erinnert mich sehr an meinen eigenen. Doch wenn wir die beiden wie Ritter in einem Turnier gegeneinander antreten lassen würden, würde Ihrer wahrscheinlich gewinnen.«
    »Sie sind zu freundlich, Sir«, sagte sie, »aber ich muss zugeben, dass mir das alles schrecklich peinlich ist.«
    Martell überlegte. Ihm war nicht ihre Verlegenheit im Gedächtnis geblieben, sondern der Eindruck, den sie bei ihm hinterlassen hatte, als sie ihnen in der Vorhalle entgegengekommen war: bleich, bedrückt, ja sogar tragisch. Ohne dass es ihm in diesem Moment selbst klar gewesen war, hatte es in ihm den Wunsch geweckt, sie zu beschützen. Heute jedoch waren ihre Wangen von der Fahrt durch die Morgenluft gerötet, und sie wirkte sehr lebendig. Zwei Seiten ein und derselben Person, was ihn neugierig machte. Er beschloss, sie ein wenig aufzuheitern.
    »Ach«, sprach er gut gelaunt weiter, »wenn wir nur Einfluss auf unsere Eltern hätten. Aber Ihr Vater hat wunderschöne Augen, wenn sie so zornig blitzen.« Forschend sah er sie an. »So wie Ihre, Miss Albion. Sie haben seine Augen geerbt.«
    Was sollte sie darauf antworten? Sie errötete. Noch nie hatte sie ihn so freundlich erlebt.
    »Ich habe gehört, dass Ihre Familie schon lange im New Forest ansässig ist«, fuhr er fort.
    »Es heißt, wir stammen von den Angelsachsen ab, Mr. Martell. Wir besaßen schon vor der Zeit der Normannen Güter im New Forest.«
    »Ach, du meine Güte, Miss Albion. Und dann haben wir Normannen sie Ihnen weggenommen? Kein Wunder, dass Sie unsereinem die Tür weisen!«
    »Ich glaube, Mr. Martell«, meinte sie lachend, »dass Sie uns erobert haben.« Und ohne besondere Absicht sah sie ihm bei diesen Worten in die Augen.
    »Aha.« Er erwiderte ihren Blick, als habe das Wort »erobern« auch für ihn plötzlich eine andere Bedeutung gewonnen. Eine Weile starrten sie einander an, bis er nachdenklich den Kopf abwandte. »Wir alten Familien«, sagte er in einem vertrauten Ton, der sich ihr wie ein warmer Umhang um die Schultern legte, »beschäftigen uns vielleicht zu sehr mit der Vergangenheit. Und dennoch…« Er sah die Tottons an, und sein Augenausdruck besagte, dass ihnen, obwohl sehr nette Leute, eine wichtige Gemeinsamkeit mit den Martells oder den Albions fehlte. »Ich glaube, wir gehören auf andere Weise als viele

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