Der Wald der Könige
Menschen zu diesem Land.«
»Ja«, entgegnete sie leise, denn sie empfand genauso.
»Also«, meinte er so spielerisch, als würde er jeden Moment den Arm um sie legen. »Sind Sie und ich nun Ruinen oder nur pittoresk?«
»Ich bin pittoresk, Sir«, antwortete sie mit Nachdruck, »und bitte erklären Sie mir jetzt nicht, Sie seien eine Ruine.«
»Ich schwöre«, sagte er leise, »dass ich keine bin.«
Der Fluss von Beaulieu war den Gezeiten unterworfen. Als sie die Brücke zu dem alten Pförtnerhaus überquerten, herrschte gerade Ebbe, weshalb der große Teich zu ihrer Linken fast leer dalag.
Obwohl längst verfallen, hatte die Abtei ihre mittelalterliche Atmosphäre hervorragend bewahrt. Nicht alle Gebäude waren zerstört worden; das Pförtnerhaus und der Großteil der Mauer standen noch. Das Haus des Abtes war wieder hergestellt und zu einem bescheidenen Gutshaus ausgebaut worden. Auch ein Teil des Kreuzgangs war erhalten. Das große domus der Laienbrüder bildete eine der vier Seiten. Zwar war von der gewaltigen Klosterkirche kaum noch ein Stein übrig, aber man hatte das gegenüberliegende Refektorium in eine hübsche Pfarrkirche verwandelt. Die augenblickliche Erbin, eine Montagu, weilte nur selten hier, denn sie hatte – wie in ihrer Familie üblich – eine gute Partie gemacht. Ihr Gatte war ein Abkömmling des Herzogs von Monmouth. Der glücklose uneheliche Sohn von Karl II. war zwar nach dem Aufstand von 1685 enthauptet worden. Doch dank der Bemühungen seiner Frau waren seine großen Güter auf seine Erben übergegangen und inzwischen mit den Besitzungen der Montagus vereint worden. Allerdings sorgte die Familie für die Instandhaltung der Abtei, deren graue Gemäuer eine altertümliche Ruhe verbreiteten.
»Also, Mr. Martell«, meinte Louisa, sobald sie das Pförtnerhaus passiert hatten. »Haben wir Sie nun an Fanny verloren?« Sie bedachte Martell mit einem merkwürdigen Blick, so als wäre etwas nicht in Ordnung mit Fanny. Aber Martell lächelte nur und ging nicht weiter darauf ein.
»Ich plaudere ebenso gerne mit ihr wie mit Ihnen«, entgegnete er höflich. »Möchten Sie sich uns nicht anschließen?« Und so schlenderte er, eine junge Dame an jedem Arm, über das Klostergelände. Sie waren noch nicht weit gekommen, als er plötzlich sagte: »Diese Abtei liegt so idyllisch; die Luft…« Er hielt inne. Louisa sah ihn verständnislos an.
Fanny lachte. »Die sich in ihrer Frische und Süße selbst empfiehlt«, beendete sie den Satz. Als sie Louisas immer noch verdatterte Miene bemerkte, rief sie aus: »Aber Louisa, das ist doch aus Macbeth von Shakespeare. Wir haben das Stück bei Mrs. Grockleton gelesen. Nur, dass es im Original nicht um eine Abtei, sondern um ein Schloss geht.«
»Das hatte ich ganz vergessen«, entgegnete Louisa und runzelte verärgert die Stirn.
»Mr. Martell, Sie erinnern sich sicher noch, dass der König kurz nach dieser Bemerkung ums Leben kommt«, meinte Fanny. »Also sollten Sie besser auf der Hut sein.«
»Nun, Miss Albion.« Martell blickte zwischen den beiden Mädchen hin und her. »Ich fühle mich verhältnismäßig sicher, denn keine von Ihnen beiden ähnelt der Furcht erregenden Lady Macbeth.«
»Sie haben mich noch nie mit einem Dolch gesehen«, erwiderte Louisa in scherzhaft drohendem Ton, in dem Versuch, ihren Schnitzer wieder gutzumachen. Fanny hatte den Eindruck, dass Louisa lieber sie als Mr. Martell erdolcht hätte, und sie beschloss, alles zu tun, um ihre Cousine nicht mehr in Verlegenheit zu bringen.
Deshalb hielt sie sich zurück, als Martell, am Hause des Abts angekommen, beiläufig von Louisa wissen wollte, welcher Orden früher hier gelebt habe.
»Orden?« Louisa zuckte die Achseln. »Es waren eben Mönche.« Unwillkürlich sah sie Fanny an.
»Ich bin nicht ganz sicher«, erwiderte Fanny zögernd, obwohl sie es ganz genau wusste. »Haben sie nicht Schafe gehalten, Louisa? Dann müssen es Zisterzienser gewesen sein.«
»In diesem Fall«, sagte Martell, der sich von dieser Scharade keinen Moment täuschen ließ, »wurden die Güter gewiss von Laienbrüdern bewirtschaftet.«
»Ja«, bestätigte Fanny. »Einige der großen Scheunen auf den Gütern stehen bis heute.« Sie wies in die Richtung, wo das Gut St. Leonards lag. Martell nickte interessiert.
Vor ihnen war Mr. Gilpin stehen geblieben, um sich ein paar Bäume anzusehen, die die Montagus in geraden Reihen gepflanzt hatten. Da er Eduard und dem kleinen Furzey einen Vortrag darüber hielt, wie
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