Der Wald der Könige
großzügigen Rahmen. Ach…« Ganz offensichtlich zogen Bilder von Bällen – mit den Burrards, den Martells, ja vielleicht sogar mit Angehörigen des Königshauses als Gästen – an ihrem geistigen Auge vorbei wie Schwäne auf einem Fluss.
»Aha.« Das lag nun ganz und gar nicht in Grockletons Absicht. »Denk doch nur an die Städte, in denen wir leben könnten«, schlug er vor. »Wir könnten sogar in Bath wohnen.«
»Bath? Ich habe überhaupt keine Lust, in Bath zu wohnen. Und für unsere Kinder wäre ein Umzug auch eine Katastrophe.«
»Aber, Mrs. Grockleton.« Er starrte sie entgeistert an. »Du redest doch ständig von Bath. Gewiss…«
»Nein, nein, Mr. Grockleton«, unterbrach sie ihn. »Wenn ich von Bath spreche, meine ich damit, dass es Lymington als Vorbild dienen sollte. Leben will ich dort nicht. In Bath sind die gesellschaftlichen Positionen schon verteilt. Ganz gleich, wie wohlhabend wir auch sein mögen, in Bath werden wir Niemande sein. Hier hingegen, wo wir so viele gute Freunde haben…«
»Unsere Freunde«, entgegnete er sanft, »stehen uns möglicherweise nicht so nah, wie du meinst.«
»Aber bessere«, erwiderte sie streng und mit einem jener Anflüge von Realitätssinn, mit denen sie ihre Zeitgenossen gelegentlich überraschte, »werden Leute wie du und ich vermutlich nie kriegen.«
»Nun, meine Liebe«, meinte er beschwichtigend. »Wir müssen die Angelegenheit nicht gleich entscheiden. Vielleicht hinterlässt mir mein Cousin Balthazar ja gar nichts.«
Allerdings war es ein schwerer Fehler von ihm anzunehmen, dass seine Frau die Dinge nun auf sich beruhen lassen würde, denn sie hatte sich inzwischen in Rage geredet. »Ich bin fest dazu entschlossen, hier zu bleiben, Mr. Grockleton«, sagte sie im Brustton der Überzeugung, was ihm einen kalten Schauder den Rücken hinunterjagte. »In der Tat.« Sie musterte ihn ernst. »Und damit basta.«
Kurz malte sich Grockleton aus, wie es denn sein würde, allein – also ohne Mrs. Grockleton – mit seinem Vermögen in London zu leben, und ein sehnsüchtiger Ausdruck malte sich auf seinem Gesicht. Doch dann nahm er sich rasch zusammen. »Wie du willst, meine Liebe«, erwiderte er, während er sich fertig machte, um zur Arbeit zu gehen. »Glaubst du wirklich«, fragte er, um das Thema zu wechseln, »dass Mr. Martell ein Auge auf Louisa Totton geworfen hat?«
»Ich habe die beiden am Tag vor seiner Abreise zusammen in der High Street gesehen«, entgegnete sie, »und ich habe beobachtet, wie er sich ihr gegenüber verhielt. Er hat sie sehr gern. Und sie ist fest dazu entschlossen, ihn zu heiraten, darauf kannst du Gift nehmen. Außerdem ist sie eine kluge und entschlossene junge Frau.«
»Und setzen entschlossene Frauen immer ihren Willen durch?«, erkundigte er sich mit aufrichtiger Neugier.
»Ja«, antwortete Mrs. Grockleton ruhig, »das tun sie.«
Die High Street wurde von der warmen Augustsonne beschienen. Wie immer stand der Wirt in der Tür des Angel Inn und sah sich um. Allerdings hatte sich Isaac Seagull die Türschwelle nicht deshalb als Lieblingsplatz ausgesucht, weil er sich für das Treiben auf der Straße interessiert hätte. Der wirkliche Grund befand sich unter seinen Füßen.
Es war ein unterirdischer Tunnel, welcher das Angel Inn mit dem kleineren Gasthaus gegenüber verband. Von dort aus führte er den Hügel hinab bis zum Wasser. Weitere Gänge und Kammern zweigten von dem unterirdischen Gang ab. Und so konnte der Wirt die Waren unbemerkt von seinen Booten auf Gasthöfe und Verstecke in ganz Lymington verteilen. Als er so dastand und nachdenklich mit dem Fuß auf den Boden klopfte, fühlte Isaac Seagull sich wie der Herr über ein altes Labyrinth voller geheimer Schätze.
Solche unterirdischen Schächte existierten in den meisten Küstenstädten Südenglands. Christchurch verfügte sogar über ein kompliziertes Labyrinth, dessen Gänge bei der alten Pfarrkirche endeten. Selbst Dörfer, die mehr als fünfundvierzig Kilometer von der Küste entfernt auf den Kreidefelsen unweit von Sarum lagen, besaßen häufig unterirdische Geheimgänge.
Gerade dachte Seagull über seine Pläne für die nächsten Monate nach, als er aus dem Augenwinkel Miss Albion erkannte. Einen aufgespannten Sonnenschirm in der Hand, schlenderte sie auf ihn zu. Zu seiner Überraschung bat sie ihn um ein Gespräch unter vier Augen.
Da es im Gasthof keine Möglichkeit gab, sich ohne Ohrenzeugen zu unterhalten, brachte er sie in den kleinen
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