Der Wald der Könige
gewählt werden. Von nun an erließen sie die Gesetze, entschieden über die Weiderechte, erhoben Gebühren und hielten Gerichtsverhandlungen ab. Vor allem oblag es ihnen, die Rechte der Bauern zu schützen. Wenn sich die Waldbehörde im New Forest etwas zu Schulden kommen ließ, würde sie sich vor den Forstaufsehern verantworten müssen. Die Machtverhältnisse hatten sich umgekehrt. Die Waldbehörde wurde gewissermaßen aus ihren eigenen Einhegungen ausgesperrt.
Als Mr. Cumberbatch von den Einzelheiten dieses Erlasses erfuhr, bekam er einen Tobsuchtsanfall.
Bei der Siegesfeier, die Lord Henry in Beaulieu veranstaltete, fasste Oberst Albion auf seine bündige Art das Ergebnis zusammen. Feierlich ergriff er die ihm hingehaltene Hand seines Schwiegersohnes und verkündete:
»Wir haben gewonnen.«
1925
Sally, George Prides Schwiegertochter, hatte den alten Mann endlich dazu gebracht, seine Geschichte zu erzählen. Trotz seiner inzwischen achtzig Jahre hielt er seine hagere Gestalt noch immer kerzengerade.
»Wenn du einmal nicht mehr bist«, hielt sie ihm vor Augen, »wer wird sich dann noch daran erinnern?« Sally, die aus Minstead stammte, hatte schriftstellerisches Talent. Und so saß George Pride im Frühjahr 1925 jeden Nachmittag in seiner kleinen Hütte in Oakley auf seinem Lieblingsstuhl und redete ein paar Stunden lang mit ihr, bis er müde wurde.
Sally war erstaunt, wie schnell sich ihre Notizbücher füllten. Am fünften Nachmittag, als er bei einer besonders interessanten Episode angelangt war, hatte sie bereits zwei davon voll geschrieben.
»Dein Jack war das letzte unserer Kinder«, begann er. »Ich glaube, das ahnten wir auch.
Das war im Sommer 1880. Und drei Tage später« – er lächelte – »wurde ich nach Lyndhurst gerufen.
Das Haus der Königin neben dem Gerichtsgebäude ist sehr beeindruckend. Also kannst du dir sicher vorstellen, dass ich bei meinen wenigen Besuchen dort ziemlich nervös war. Ich sollte den neuen Oberaufseher kennen lernen, den Nachfolger von Mr. Cumberbatch. Man kann über Mr. Lascelles sagen was man will, aber er war ein Gentleman. Ein hoch gewachsener, schneidiger Herr und sehr höflich. Nachdem er mich eine Weile gemustert hatte, sagte er:
›Ich habe schon viel von Ihnen gehört, Pride. Gutes und Schlechtes.‹ Bei diesen Worten lächelte er. ›Mein Vorgänger hat Ihnen gekündigt. Was halten Sie davon, Ihre Stelle zurückzubekommen?‹
Wie du dir bestimmt denken kannst, bin ich vor Schreck fast umgefallen, aber ich wollte nichts überstürzen und habe deshalb geantwortet: ›Darf ich es mir bis Montag überlegen, Sir?‹ Es war Freitag. Und er erwiderte: ›Ja, meinetwegen.‹
Ich bin sofort nach Albion gegangen, um mit dem Oberst zu sprechen.
Schließlich war er mein Arbeitgeber, und er hatte sehr viel für mich getan. Außerdem war er einer der Forstaufseher bei dem neuen Gericht. ›Mr. Lascelles hat mir gerade angeboten, ich könnte meine alte Stelle bei der Waldbehörde wieder haben‹, sagte ich zu ihm.
›Wirklich?‹, meinte der Oberst. ›Kommen Sie am Sonntagabend zu mir, dann sprechen wir noch einmal darüber.‹
Und dann hat er mir den Posten als Viehinspektor angeboten.
Ein Viehinspektor hatte damals dieselben Aufgaben wie heute. Er ist für alles Vieh in dem Teil des New Forest verantwortlich, der unter seine Zuständigkeit fällt. Hauptsächlich reitet er herum und überprüft die Rinder und Ponys. Manchmal sammelt er auch die Markierungs- und Weidegebühren ein. Die Stelle war besser bezahlt als die andere: Sechzig Pfund im Jahr. Aber man musste sich selbst ein Haus suchen. ›Ich helfe Ihnen, eines zu kaufen‹, sagte der Oberst.
Das bedeutete, dass ich die freie Wahl hatte. Ich konnte entweder für die Forstaufseher oder für die Waldbehörde arbeiten. Das waren damals die beiden Parteien im New Forest, so wie heute auch noch, und das wird vermutlich immer so bleiben. Und ich musste mich entscheiden, auf welcher Seite ich stehen wollte.
Also habe ich das Angebot des Oberst angenommen und Mr. Lascelles abgesagt.
Mein Gebiet lag im nördlichen Teil des New Forest. Mir gefiel es sehr gut dort. Wir fanden ein Häuschen in Fritham, und da ist Jack aufgewachsen.
Wir waren sehr froh dort. Ich hatte ein gutes Pferd und ritt jeden Tag durch den Wald. Inzwischen hatte ich mir den Bart abrasiert und mir einen langen Schnurrbart wachsen lassen. Die Leute fanden, dass ich damit verwegen aussah. Oft habe ich meinen Sohn Gilbert auf
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