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Der Wald der Könige

Der Wald der Könige

Titel: Der Wald der Könige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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seine Güte schenken wollte. Das Bild ähnelte der Jagdszene, die sie in Winchester in der Residenz des Königs gesehen hatte. Doch sie hoffte, dass diese hier noch schöner werden würde. Sie stellte die Bäume des New Forest, die Hirsche, Hunde, Vögel und Jäger dar. Einer der Jäger war eindeutig Cola selbst. Am liebsten hätte sie auch den stattlichen, blonden Edgar abgebildet, aber dieses Vergnügen versagte sie sich. Die langwierige Arbeit war ein guter Vorwand, Edgar an manchen Tagen aus dem Weg zu gehen, ohne ihn zu kränken. Häufig kam Cola herein und sah ihr beim Sticken zu. Offenbar billigte er diesen Zeitvertreib. Die Wochen vergingen, und es schien ihr, als schlösse auch der alte Mann sie allmählich ins Herz, auch wenn er sie weiterhin mit Zurückhaltung behandelte.
    Als Adela eines Tages in der zweiten Juniwoche am offenen Fenster der Halle im Sonnenlicht über ihrer Stickerei saß, kam Cola lächelnd herein. »Ich habe gute Nachrichten für Euch.«
    »Oh.«
    »Hugh de Martell ist Vater eines Sohnes geworden. Der Junge ist gesund. Er wurde gestern geboren.«
    Adela klopfte das Herz bis zum Halse. »Und Lady Maud?« Sie sah zu, wie sich das Licht der untergehenden Sonne in ihrer Sticknadel spiegelte.
    »Sie hat die Geburt überstanden. Es geht ihr erstaunlicherweise recht gut.«
     
     
    An diesem Tag fand im New Forest noch eine weitere Geburt statt.
    Seit einiger Zeit schon ging die weißliche Hirschkuh mit ihrem Kitz schwanger und streifte im Wald umher. Damhirsche bringen, stets allein, meistens nur ein einziges Kitz zur Welt. Sorgfältig hatte sie sich umgesehen und sich schließlich für eine Stelle im Gebüsch entschieden, die wegen der dichten Stechpalmenbüsche nicht einsehbar war. Hier machte sie sich ihr Lager zurecht.
    Sie musste auf der Hut sein, denn in den ersten Lebenstagen war das Kitz völlig wehrlos. Wenn es von einem Hund oder einem Fuchs gefunden wurde, war es aus und vorbei mit ihm. Diese Bürde hatte die Natur in ihrer unergründlichen Weisheit den Damhirschen auferlegt. Allerdings hielten sich die Füchse meist am Rande des Waldes in der Nähe der Bauernhöfe auf. Die Hirschkuh schnupperte argwöhnisch, doch kein Geruch wies darauf hin, dass sich hier in letzter Zeit ein Fuchs aufgehalten hatte.
    An einem stillen, warmen Junitag brachte sie hier im tiefgrünen Schatten ihr Kitz zur Welt, das wie ein kleines, klebriges Knochenbündel ins Gras rutschte. Sie leckte es sauber und ließ sich daneben nieder. Es war ein Männchen, das die Färbung seines Vaters haben würde. Wie sie so zusammen dalagen, hoffte die weißliche Hirschkuh, dass der riesige Wald gütig zu ihnen sein würde.
     
     
    Gegen Ende Juni kam es zu zwei Ereignissen, die für kluge Köpfe allerdings keine große Überraschung darstellten.
    Das erste wurde von Cola gemeldet: »Rufus wird in die Normandie einmarschieren.« Man erwartete, dass sein Bruder Robert im Dezember in seinem Herzogtum eintreffen würde. Und Rufus wollte ihm dort einen kriegerischen Empfang bereiten.
    »Wird es ein großer Feldzug werden?«, fragte Edgar. »Ja, ein gewaltiger.« Edgars Bruder hatte aus London die Botschaft geschickt, die Vorbereitungen seien bereits im Gange. Gewaltige Summen wurden aufgebracht, um Soldaten anzuwerben. Aus der Schatzkammer in Winchester wurden Wagenladungen von Goldmünzen abtransportiert. Ritter wurden aus dem ganzen Land zusammengerufen. »Und er fordert von den meisten Häfen an der Südküste, ihm Schiffe zur Verfügung zu stellen«, erklärte Cola. »Wenn Robert eintrifft, um seine Schulden zu bezahlen, wird er feststellen, dass er aus seinem eigenen Haus ausgesperrt ist. Rufus verfügt über grenzenlose Mittel. Falls Robert sich dem Kampf stellt, wird er unterliegen. Eine schlimme Sache.«
    »Aber war das nicht vorauszusehen?«, wandte Adela ein. »Ja, ich glaube schon. Doch Vermutungen und tatsächliche Ereignisse sind zwei verschiedene Dinge.« Er seufzte. »Natürlich hat Rufus in gewisser Weise Recht. Robert eignet sich nicht zum Herrscher. Ein solches Verhalten allerdings…«
    »Wahrscheinlich werden einige Normannen damit gar nicht einverstanden sein«, sagte Adela.
    »Allerdings, meine gute Lady, ganz sicher nicht. Insbesondere Roberts Freunde sind…« Er hielt inne und suchte nach dem richtigen Ausdruck »… bestürzt.« Der alte Mann schüttelte den Kopf. »Und wenn er seinem eigenen Bruder in der Normandie so etwas antut, ist es nicht auszudenken, wie er mit Aquitanien verfahren wird.

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