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Der Wald der Könige

Der Wald der Könige

Titel: Der Wald der Könige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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gefallen, auf einen Holzstoß gestürzt und habe sich das Genick gebrochen. Er sei tot.
    In dieser Nacht tat sie kein Auge mehr zu.
    Tief im New Forest schliefen eine Mutter und ihr Kind friedlich in der warmen Sommernacht: Die Hirschkuh und ihr Kitz waren, wie schon den Großteil des Tages, ungestört. Nachdem die Hirschkuh ganz in der Nähe berittene Jäger gehört zu haben glaubte, war es still geblieben, und sie hatte sich wieder neben ihr Kitz gelegt. Der Teil des New Forest, in dem sie lebte, war weit entfernt von der Stelle, wo König Rufus’ Jagdausflug ein tragisches Ende genommen hatte. Also war nicht auszuschließen, dass Adela auf der Heide einen anderen Weißling gesehen hatte. Vielleicht war es auch nur eine Sinnestäuschung oder ein Irrtum gewesen.
     
     
    Bis heute hat noch niemand eine Erklärung für die seltsamen und geheimnisvollen Vorgänge gefunden, die sich an jenem Tag im New Forest abspielten. Wer den König auf die Jagd begleitet hatte, war bekannt. Es hieß, Tyrrell habe mit dem Pfeil auf einen Hirschbullen gezielt, danebengeschossen und den König getroffen. Kaum einer behauptete, dass es Absicht gewesen sei, und es hätte auch gar keinen triftigen Grund dafür gegeben.
    Die Frage war, wer von Rufus’ Tod profitierte. Wie sich herausstellte, war sein Bruder Robert nicht der Nutznießer, und soweit wir wissen, zog auch die Familie Clare keine Vorteile daraus. Sein jüngerer Bruder, der zurückhaltende Heinrich mit den schwarzen Stirnfransen, besetzte bei Morgengrauen die Schatzkammer von Winchester und wurde zwei Tage später in London zum König gekrönt. Nach einer Weile setzte er Rufus’ Pläne in die Tat um, indem er Robert die Normandie abnahm. Doch falls er, wie einige Gerüchte besagten, bei Rufus’ Ermordung die Hand im Spiel gehabt hatte, gibt es dafür nicht die Spur eines Beweises.
    Der New Forest bewahrte sein Geheimnis so gut, dass sich lange Zeit nichts sagende Legenden um das Ereignis rankten.
    Selbst der Schauplatz der Tragödie geriet in Vergessenheit, bis man viele Jahrhunderte später einen Gedenkstein errichtete – und zwar an einer völlig falschen Stelle.
    Allerdings gab es einen Menschen, für den der Zwischenfall auch sein Gutes hatte. Nach ein paar Tagen begegnete Cola, der Förster, zufällig Godwin Pride, der ihn höflich um ein Gespräch unter vier Augen bat. Pride teilte dem erstaunten Diener des Staates in aller Offenheit mit, er habe Grund zu der Annahme, dass er ein Recht auf einen größeren Pferch habe – und zwar auf einen viel geräumigeren als den, der durch die verbotene Verschiebung des Zauns neben seiner Kate entstanden sei.
    »Welchen Beweis kannst du mir dafür liefern?«, fragte Cola.
    »Ich habe auch etwas dafür zu bieten«, erwiderte Pride zögernd. »Und wenn Ihr damit zufrieden seid, bin ich es auch.«
    »Was könnte das sein?«
    »Vor ein paar Tagen war ich zufällig unten in Througham.«
    »Und?«
    »Manchmal sieht man die merkwürdigsten Dinge.«
    »Merkwürdig?« Colas Argwohn war geweckt. »Willst du mir nicht erzählen, was du gesehen hast?«
    »Das behalte ich lieber für mich.«
    »Ist es gefährlich?«
    »Könnte sein.«
    »Nun, ich habe keine Ahnung, was du beobachtet haben könntest.« Cola betrachtete den Bauern nachdenklich. »Und ich glaube, ich möchte es auch lieber gar nicht wissen.«
    »Nein, das kann ich mir vorstellen.«
    »Mancher hat sich schon um Kopf und Kragen geredet.«
    »Seht Ihr jetzt, worauf ich vorhin mit dem Pferch hinauswollte?«
    »Sehen? Ich denke nicht, dass meine Augen so viel besser sind als deine, Godwin Pride.«
    »Dann ist ja alles gut«, meinte Pride und ging vergnügt von dannen.
    Und als im nächsten Sommer ein prächtiger neuer Pferch, fast einen halben Hektar groß, mit einem Erdwall und einem Graben darum, neben Prides Haus am Rande der Heide prangte, schien niemand ihn zu bemerken. Weder Cola noch sein älterer Sohn. Und auch nicht sein jüngerer Sohn Edgar und dessen Frau Adela, die bei ihrer Hochzeit von ihrem Vetter Tyrrell aus der Normandie eine hübsche kleine Mitgift erhalten hatte.
    Denn so spielt das Leben im New Forest.



BEAULIEU
     
     
     
    1294
     
    Geduckt rannte der Mann am Rand des Feldes entlang und hielt sich dicht im Schatten der Hecke. Sein Gesicht war gerötet, und er rang nach Atem. Immer noch hörte er hinter sich aus dem Gutshof wütendes Gebrüll.
    Seine mit Lehm bespritzte Soutane wies ihn als Mitglied der Klostergemeinschaft aus, doch sein dichtes Haar war nicht

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