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Der Wald der Könige

Der Wald der Könige

Titel: Der Wald der Könige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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zur Tonsur geschoren – ein Laienbruder also.
    Nun hatte er die Ecke des Feldes erreicht und sah sich um. Er wurde nicht verfolgt. Noch nicht. Laudate Dominum. Gepriesen sei der Herr.
    Auf einem Feld weideten Schafe, auf dem anderen graste ein Stier. Aber das kümmerte ihn nicht. Er raffte seine Soutane und schwang die langen Beine über den Zaun.
    Der Stier, so braun und struppig, dass er einem kleinen Heuhaufen ähnelte, war nicht weit. Unter dem Haarbüschel zwischen den langen, gebogenen Hörnern spähten zwei rote Augen hervor. Fast hätte der Mönch die Hand zum segnenden Kreuzzeichen erhoben, überlegte es sich aber anders.
    Tauri Basan cigunt me… Basanbüffel umkreisen mich. Die lateinischen Worte des zweiundzwanzigsten Psalms kamen ihm in den Sinn, die er erst vor einer Woche gesungen hatte. Ein freundlicher Mönch hatte ihm erklärt, was sie bedeuteten. Domine, ad juvandum me festina. O Herr, eile mir rasch zu Hilfe.
    So schnell er es wagte, lief er am Rande des Feldes entlang, ohne den Stier aus den Augen zu lassen.
    Dabei gingen ihm drei Fragen im Kopf herum: Wurde er verfolgt? Würde der Stier ihn angreifen? Und hatte er den Mann getötet, den er blutend auf dem Gutshof zurückgelassen hatte?
    An diesem warmen Herbstnachmittag lag die Abtei von Beaulieu friedlich da. Das Geschrei vom Gutshof hatte man dort nicht hören können. Nur hin und wieder hallte das Flügelflattern eines Schwans am nahen Wasser durch die Stille, welche die grauen Gebäude umgab.
    Der Abt saß in seiner Studierstube hinter verriegelten Türen und betrachtete gedankenverloren das Buch, das er soeben durchgesehen hatte.
    Jede Abtei barg ihre Geheimnisse. Für gewöhnlich wurden diese niedergeschrieben, an einem sicheren Ort verwahrt und von Abt zu Abt weitergegeben. Manchmal handelte es sich um Tatsachen von historischer Bedeutung, um Angelegenheiten des Herrscherhauses zum Beispiel oder sogar um die Lage des Grabes eines Heiligen. Häufiger jedoch ging es um verheimlichte oder längst vergessene Skandale, in die das Kloster verwickelt gewesen war. Einige verloren im Rückblick an Bedeutung, andere wiederum stiegen dem Betrachter aus den Seiten der Bücher entgegen wie Schreie, die die Geschichte mit harter Hand erstickt hatte. Zu guter Letzt waren da noch die jüngsten Eintragungen, die Menschen betrafen, welche noch dem Kloster angehörten – Dinge, die nach Ansicht des Abtes sein Nachfolger nicht zu erfahren brauchte.
    Das hieß nicht, dass die Aufzeichnungen des Klosters Beaulieu besonders umfangreich gewesen wären, denn die Abtei war noch verhältnismäßig neu im New Forest.
    Seit Rufus’ Tod war hier nur wenig Außergewöhnliches geschehen. Als Heinrich nach langer Regierungszeit gestorben war, hatten seine Tochter und sein Neffe viele Jahre um den Thron gestritten. Doch diese Auseinandersetzung spielte sich nicht im New Forest ab. Als der Sohn jener Tochter, der grausame Heinrich Plantagenet, den Thron bestieg, war er sofort in Zwist mit seinem Erzbischof Thomas Becket geraten, und man munkelte, er habe ihn ermorden lassen. Die ganze Christenheit war entsetzt gewesen. Neue Aufregung war entstanden, als Heinrichs heldenhafter Sohn Richard Löwenherz seine Ritter in Sarum versammelt hatte, um in den heiligen Krieg zu ziehen.
    In Wahrheit jedoch scherten sich die Bewohner des New Forest nur wenig um diese großen Ereignisse. Mehr schon interessierte sie da die Hirschjagd. Trotz der vielen Versuche von Seiten der Barone und der Kirche, das riesige Gebiet des königlichen Forsts zu verkleinern, hatten die habgierigen Könige aus dem Hause Plantagenet dieses inzwischen erweitert, sodass er nun größer war als zur Zeit des Eroberers. Zum Glück jedoch hatte man die Forst- und Jagdgesetze gelockert. Mittlerweile jagte der König nicht mehr von Brockenhurst aus, sondern nahm im königlichen Herrensitz von Lyndhurst Quartier, wo man die alte Palisade ausgebaut hatte.
    Ein Vorfall jedoch hatte die Waldbewohner aufmerken lassen. Nachdem König Johann, der unfähige Bruder von Richard Löwenherz, von seinen Baronen gezwungen worden war, die demütigende Magna Charta anzuerkennen, hatte dieses umfangreiche Gesetz, das England Freiheiten zugestand, auch die Unterdrückung im New Forest gemildert. Die einzelnen Verbesserungen wurden zwei Jahre später in einem eigenen, den New Forest betreffenden Gesetz weiter ausgeführt. Es handelte sich nicht mehr um eine Gemeindeangelegenheit, denn inzwischen war etwa ein Drittel von England

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