Der Wald der Könige
Vertrauen ein. Nie erteilte er ungebetene Ratschläge, denn dazu war er viel zu schlau. Allerdings fiel es auf, dass ein Mensch, der sich mit seinen Nöten an ihn wandte, meist nach einer Weile zu lachen begann und mit einem Lächeln auf den Lippen von dannen ging.
»Tadelst du die Menschen nie?«, hatte der Abt ihn einmal gefragt.
»O nein«, erwiderte Bruder Adam mit einem Augenzwinkern. »Dazu sind schließlich die Äbte da.«
Das Gespräch, das er jetzt führte, verlief weniger erfreulich. Aber das war auch gut so. Bruder Adam hatte eine solche Unterhaltung schon öfter geführt, er bezeichnete sie als »Lektion über die wahren Fragen, die ein Mönch sich stellen muss«.
»Warum?«, wandte er sich an den Novizen, »leben Männer in einem Kloster?«
»Um Gott zu dienen, Bruder Adam.«
»Und weshalb ausgerechnet in einem Kloster?«
»Um der sündigen Welt zu entfliehen.«
»Aha.« Bruder Adam sah sich im Klostergarten um. »Also vergleichbar mit einem Rückzug in den Garten Eden?«
In gewisser Weise traf dieses Bild durchaus zu. Die Mönche hatten sich einen malerischen Ort für ihr Kloster ausgesucht. Zwischen dem kleinen Fluss und dem Solent östlich des New Forest befand sich eine etwa viereinhalb Kilometer lange Landzunge. An deren Anfang, wo einst König Johanns bescheidene Jagdhütte gestanden hatte, hatten die Mönche ein großes Gelände mit einer Mauer eingefriedet. In seiner Bauweise war das Kloster dem Mutterhaus des Ordens in Burgund nachempfunden. Dominiert wurde die Anlage von der Abteikirche, einem gewaltigen, frühgotischen Gebäude mit einem viereckigen, gedrungenen Turm über dem Mittelschiff. Das aus Stein errichtete Gotteshaus strahlte eine schlichte Würde aus. Da es im New Forest keine Steinbrüche gab, hatte man einen Teil des Baumaterials über den Solent von der Insel Wight herübergebracht. Ein anderer Teil stammte aus der Normandie. Die Säulen waren aus demselben dunklen Purbeck-Marmor gefertigt, der auch in der großen neuen Kathedrale in Sarum verwendet worden war. Besonders stolz waren die Mönche auf den Fußboden der Kirche, dessen kunstvolle Mosaike sie eigenhändig angefertigt hatten. Neben der Kirche befand sich der Kreuzgang, an dessen Südseite die Chormönche untergebracht waren. Die Westseite wurde von dem gewaltigen domus conversorum eingenommen – dem Haus, wo die Laienbrüder aßen und schliefen.
Außerdem beherbergte die Einfriedung auch das Haus des Abtes, verschiedene Werkstätten, einige Fischteiche und ein Pförtnerhaus, wo die Armenspeisung stattfand. Vor kurzem hatte man mit dem Bau eines neuen und größeren Pförtnerhauses begonnen.
Jenseits der Klostermauer lagen der Meeresarm und eine kleine Mühle. Oberhalb des Mühlrades gab es einen großen Teich, an dessen Ufern silbrige Binsen wuchsen. Auf dessen Westseite erstreckten sich Felder eine kleine Anhöhe hinauf. Von deren Gipfel aus bot sich eine malerische Aussicht: im Norden Wälder und Heide, so weit das Auge reichte, und im Süden der ertragreiche Moorboden, den die Mönche bereits zum Teil trockengelegt hatten. Die daraus entstandenen üppigen Felder reichten bis hinunter zum Solent, aus dem die Insel Wight wie ein freundlicher Wächter ragte. Die gesamten Ländereien mit Wäldern, Heiden und Feldern hatten eine Größe von etwa dreitausendzweihundert Hektar, und da die Grenze von einem Graben und einem Zaun gebildet wurde, bezeichneten die Mönche nicht nur die Abtei selbst, sondern das ganze Gebiet als ihren »Großen Hof«.
Auf Lateinisch hieß die Abtei Bellus Locus, der schöne Ort, auf Französisch Beau Lieu. Doch da die Waldbewohner des Französischen nicht mächtig waren, sprachen sie es eher wie Boolö aus. Und es dauerte nicht lange, da taten es die Mönche ihnen nach.
Man hätte den großen Hof von Beaulieu in seinem friedlichen Wohlstand also durchaus für einen Garten Eden halten können.
»Natürlich ist man hier gut aufgehoben«, stellte Bruder Adam freundlich fest. »Wir erhalten hier Kleidung und Nahrung. Wir haben kaum Sorgen. Und nun sage mir«, wandte er sich unvermittelt an den Novizen, »nachdem du nun einige Monate Zeit hattest, dir unsere Lebensweise anzusehen, welches ist die wichtigste Eigenschaft, die ein Mönch besitzen muss?«
»Der Wille, Gott zu dienen, denke ich«, erwiderte der junge Mann. »Einen großen Eifer im Glauben.«
»Wirklich? Ach, du meine Güte. Da bin ich aber anderer Ansicht.«
»Wirklich?« Der Novize wirkte verdattert.
»Lass mich dir
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