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Der Wald der Könige

Der Wald der Könige

Titel: Der Wald der Könige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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königlicher Forst.
    Und dann war da noch Beaulieu.
    Man bezeichnete König Johann nicht nur deshalb als unfähig, weil er all seine Kriege verloren hatte und sich ständig mit seinen Baronen stritt. Was noch schlimmer war: Er hatte den Papst beleidigt und damit dafür gesorgt, dass England nun unter päpstlichem Bann stand. Jahrelang fanden im Land keine Gottesdienste mehr statt. Kein Wunder also, dass Geistliche und Mönche den König hassten – und schließlich waren es die Mönche, die für die Geschichtsschreibung zuständig waren. Soweit es sie betraf, hatte er im Leben nur ein einziges Mal etwas Gutes vollbracht – nämlich, indem er Beaulieu gründete.
    Beaulieu war seine einzige religiöse Stiftung. Die Frage war nur, was ihn, den Bösewicht, zu dieser guten Tat bewogen hatte? In den Chroniken der Mönche jedoch fielen feinsinnige Unterscheidungen für gewöhnlich unter den Tisch. Entweder war ein Mensch gut oder böse. Und deshalb einigte man sich auf die Erklärung, der König habe mit dieser Stiftung Buße für eine besonders verabscheuungswürdige Tat tun wollen. Einer Legende zufolge hatte er befohlen, einige Mönche von seinen Pferden zu Tode trampeln zu lassen, und sei danach von einem Albtraum geplagt worden.
    Was immer auch der wahre Grund gewesen sein mochte: Im Jahre des Herrn 1204 gründete König Johann jedenfalls Beaulieu, ein Kloster der Zisterzienser oder der weißen Mönche, wie man sie auch nannte. Zuerst stiftete er ihnen reiche Ländereien in Oxfordshire und teilte ihnen dann ein großes Gebiet im östlichen Teil des New Forest zu. Zufällig handelte es sich um ebenjene Stelle, an der Urgroßonkel Rufus vor einem Jahrhundert getötet worden war. In den neunzig Jahren seit seiner Gründung hatte die Abtei weitere Gelder von Johns frommem Sohn Heinrich III. und dem gegenwärtigen König Eduard I. erhalten, der außerdem ein treuer Freund der Kirche war. Dank dieser Großzügigkeit war die Abtei inzwischen mehr als wohlhabend. Einige ihrer Mönche hatten sogar Tochterhäuser in anderen Ortschaften gegründet – so in Newenham, etwa hundert Kilometer entfernt an der südwestlichen Küste in Devon. Die Abtei war vom Glück verwöhnt und erfolgreich.
    Seufzend klappte der Abt das Buch zu und schloss es in eine große, mit Eisen beschlagene Truhe ein.
    Er hatte einen Fehler gemacht. Es war leichtsinnig gewesen, den Rat seines Vorgängers in den Wind zu schlagen, denn dieser hatte Recht behalten. Inzwischen stand eindeutig fest, dass der Mann verderbt und möglicherweise sogar gefährlich war.
    »Warum habe ich ihn nur ernannt?«, murmelte er. War es aus Reue geschehen? Der Abt hatte sich gesagt, dass man diesem Mann eine Chance geben musste. Schließlich hatte er sie sich – natürlich durch Gebete und die Gnade Gottes – verdient, und es oblag ihm, dem Abt, sie ihm auch zu gewähren. Und was sein Verbrechen betraf? Es stand in diesem Buch. Doch seitdem war viel Zeit vergangen. Und Gott war gnädig.
    Der Abt sah durchs offene Fenster. Ein wunderschöner Tag. Da bemerkte er zwei Männer, die, in ein leises Gespräch vertieft, dahinschlenderten. Seine Miene erhellte sich bei diesem Anblick.
    Bruder Adam. Das war eine völlig andere Art von Mensch, ein ausgesprochen guter nämlich. Der Abt lächelte. Es war Zeit, nach draußen zu gehen. Er schob den Türriegel zurück.
     
     
    Bruder Adam war ausgelassener Stimmung. Wie so häufig beim Spazierengehen zog er das kleine Holzkreuz, das ihm an einer Schnur um den Hals hing, unter dem härenen Hemd hervor und betastete es nachdenklich. Seine Mutter hatte es ihm beim Eintritt in den Orden geschenkt. Sie sagte, sie habe es von einem Mann erhalten, der es aus dem Heiligen Land mitgebracht habe.
    Es bestehe aus dem Holz einer libanesischen Zeder. Warm beschien die Sonne seinen haarlosen Schädel. Schon mit dreißig Jahren war Bruder Adam erst ergraut und dann kahl geworden. Doch er wirkte dadurch nicht älter. Inzwischen war er fünfunddreißig, und sein fein geschnittenes, ebenmäßiges Gesicht verlieh ihm ein fast jungenhaftes und kluges Aussehen. Selbst die Mönchskutte konnte nicht verbergen, wie kräftig und muskulös er gebaut war.
    Im Augenblick war er mit der angenehmen Aufgabe beschäftigt, dem jungen Novizen, der respektvoll zwischen den Gemüsebeeten neben ihm herging, ein wenig gesunden Menschenverstand einzubläuen.
    Bruder Adam wurde oft von anderen um Hilfe gebeten, denn er war gewitzt und besonnen und flößte auf den ersten Blick

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