Der Wald der Könige
angeeignet. Eines der Dörfer hatte es versäumt, einen auf ihrem Gebiet tot aufgefundenen Hirschbullen zu melden. Obwohl sich das Leben im New Forest kaum verändert hatte, wäre einem Förster aus der Zeit von König Rufus, hätte er diese Gerichtsverhandlung miterleben dürfen, ein bedeutender Unterschied aufgefallen: Während das normannische Gesetz mit seinen Todesstrafen und Verstümmelungen die Bevölkerung eingeschüchtert hatte, ließ der jetzige Monarch seine obersten Richter milder über seine Untertanen urteilen. Verstümmelungen waren abgeschafft. Nur die schlimmsten Gewohnheitsverbrecher wurden gehängt. Die meisten anderen Gesetzesverstöße wurden mit Geldstrafen geahndet, und der Schuldige musste eine Summe entrichten, die von seinem Einkommen abhing. So wurde an diesem Tag ein mittelloser Mann begnadigt, der von einem anderen Gericht zu einer Strafe von sechs Pence verurteilt worden war, die er nicht bezahlen konnte.
Erst später am Nachmittag kam man auf den Zwischenfall in Beaulieu zu sprechen.
Die Anklage lautet, dass am Freitag vor dem letzten Festtag des heiligen Matthäus Roger Martell und Henry de Damerham in Begleitung anderer, ausgerüstet mit Pfeil, Bogen, Bluthunden und Windhunden, den New Forest betraten, in der Absicht, das Wild zu schädigen …
Die Anklage, auf Latein in den Gerichtsakten festgehalten, wurde vom Gerichtsdiener verlesen. Sie enthielt genaue Angaben, was sich die Wilderer hatten zu Schulden kommen lassen, und niemand widersprach. Der Richter musterte die jungen Männer streng, während die Zuschauer in der Halle aufmerksam lauschten.
»Es handelt sich um ein Jagdvergehen, begangen unter Missachtung der Gesetze und in aller Öffentlichkeit. Die Täter sind Männer, die es auf Grund ihrer Stellung eigentlich hätten besser wissen müssen. Also verhänge ich folgende Strafen: Will atte Wood: eine halbe Mark.« Der arme Will, denn es war eine hohe Strafe. Da zwei seiner Vettern für ihn bürgten, gab man ihm ein Jahr Zeit, sie zu bezahlen. Auch die anderen Dorfbewohner mussten dieselbe Summe entrichten.
Dann waren die jungen Adeligen an der Reihe: fünf Pfund für jeden, fünfzehnmal so viel, wie die einfachen Bauern hatten zahlen müssen, und das war nur gerecht. Zu guter Letzt wandte sich der Richter an Martell.
»Roger Martell, Ihr wart ohne Zweifel der Rädelsführer dieser Übeltäter. Ihr habt sie zu dem Gut gebracht. Ihr habt Hirsche gestohlen. Und außerdem seid Ihr ein recht wohlhabender junger Mann.« Er hielt inne. »Der König war gar nicht erfreut, als er von dieser Angelegenheit hörte. Ihr werdet zu einer Geldstrafe von hundert Pfund verurteilt.«
Die Zuschauer schnappten nach Luft. Auch die beiden Sheriffs waren sichtlich verdattert. Selbst für einen reichen Gutsbesitzer war das ein Schwindel erregend hoher Betrag. Und außerdem war offensichtlich, dass König Eduard selbst diese Bestrafung vorab genehmigt hatte. Beim König in Ungnade gefallen. Martell war weiß wie ein Leinentuch. Er würde entweder Land verkaufen oder jahrelang auf sein Einkommen verzichten müssen. Obwohl er eigentlich ein tapferer Mann war, bebte er am ganzen Körper.
Das Getuschel im Gerichtssaal wurde lauter, doch dann sagte der Richter zum Gerichtsschreiber: »Und was wird jetzt aus diesem Laienbruder?«
Schlagartig kehrte Stille ein. Luke gehörte zur Familie Pride, und man war sehr neugierig, was nun geschehen würde. Maria, die in einer der hinteren Reihen saß, spitzte die Ohren, damit ihr ja kein Wort entging.
Was Luke genau vorgeworfen wurde, war nicht ganz klar.
»Erstens«, verkündete der Gerichtsdiener, »hat er den Übeltätern Unterschlupf auf dem Gut gewährt. Zweitens war er ihr Komplize. Und drittens hat er einen Mönch namens Bruder Matthew angegriffen, der die Wilderer am Betreten des Gutes hindern wollte.«
»Ist ein Vertreter der Abtei zugegen?«, erkundigte sich der Richter.
John von Grockleton erhob die Klaue, und kurz darauf standen Bruder Matthew und drei Laienbrüder vor dem Richter.
Natürlich hatte sich der Richter von seinem Stellvertreter alle Einzelheiten erzählen lassen, doch für ihn gab es in diesem Fall noch einige offene Fragen.
»Ihr weigert Euch, die Verantwortung für diesen Laienbruder zu übernehmen?«
»Wir sagen uns von ihm los«, erwiderte der Prior.
»In der Anklageschrift heißt es, er sei Komplize der Wilderer gewesen. Vermutlich deshalb, weil er ihnen den Zutritt zum Gut gestattet hat.«
»Welche andere
Weitere Kostenlose Bücher