Der Wald der Könige
Erklärung gäbe es sonst dafür?«, entgegnete Grockleton.
»Ich könnte mir vorstellen, dass er sich von ihnen eingeschüchtert fühlte.«
»Sie haben ihm nicht mit Gewalt gedroht«, wandte der Gerichtsdiener ein.
»Das ist richtig. Und wie hat sich der Übergriff abgespielt?«, wollte der Richter von Bruder Matthew wissen.
»Nun.« Bruder Matthew verzog ein wenig verlegen das gütige Gesicht. »Als Martell sich weigerte, seinen verwundeten Kumpanen mitzunehmen, wollte ich ihn, wie ich zugeben muss, mit einem Stab schlagen. Doch Bruder Luke griff nach einem Spaten und zerschmetterte den Stab. Dabei hat der Spaten mich am Kopf getroffen.«
»Ich verstehe. War der Laienbruder Euer Feind?«
»O nein. Ganz im Gegenteil.«
Grockleton hob die Klaue. »Das beweist doch, dass er mit Martell unter einer Decke steckte.«
»Oder dass er den Mönch daran hindern wollte, eine Prügelei vom Zaun zu brechen.«
»Ich muss gestehen«, meinte Bruder Matthew wohlwollend, »dass ich mich das später auch gefragt habe.«
»Bruder Matthew ist zu gütig, Richter«, fiel der Prior ihm ins Wort. »Er urteilt viel zu milde.«
In diesem Augenblick stand die Meinung des Richters über Grockleton endgültig fest: Der Prior war ein unangenehmer Zeitgenosse. »Und dann ist er fortgelaufen?«
»Dann ist er fortgelaufen«, wiederholte Grockleton trotzig.
»Warum zum Teufel hat der Abt ihn nicht wegen des Angriffs auf den Mönch bestraft?«
»Weil wir ihn aus dem Orden ausgeschlossen haben. Wir sind hier, um ihn anzuklagen«, erwiderte Grockleton.
»Wie ich vermute, ist er nicht anwesend?« Allgemeines Kopfschütteln. »Nun gut.« Der Richter bedachte den Prior mit einem angewiderten Blick. »Da er zum Zeitpunkt des Verbrechens, falls überhaupt eines stattgefunden hat, Angehöriger des Klosters war und der Gerichtsbarkeit der Abtei unterstand, seid Ihr dafür verantwortlich, ihn herbeizuschaffen. Oder wusstet Ihr das nicht?«
»Ich?«
»Ihr. Oder besser gesagt die Abtei. Deshalb erhält die Abtei wegen seines Nichterscheinens eine Geldstrafe. Zwei Pfund.«
Das Gesicht des Priors lief puterrot an. Die Zuschauer grinsten.
»Ich bedauere, dass der Angeklagte nicht hier ist, um sich zu verteidigen«, fuhr der Richter fort. »Aber so ist es nun einmal. Dem Gesetz muss Genüge getan werden. Und da es sich hier um ein Schwerverbrechen zu handeln scheint und der mutmaßliche Täter durch Abwesenheit glänzt, bleibt mir nichts anderes übrig. Lasst nach ihm fahnden. Und wenn er bei der nächsten Sitzung des Gerichtes nicht erscheint, wird er für vogelfrei erklärt.«
Mary, die hinten im Gerichtssaal saß, hörte bedrückt zu. Man würde ihren Bruder so lange suchen, bis man ihn gefunden hatte. Und wenn man ihn für vogelfrei erklärte, bedeutete das, dass die Gesetze ihn nicht mehr schützten. Niemand durfte einen Vogelfreien bei sich aufnehmen, aber jeder konnte ihn straflos töten. Er hatte sämtliche Rechte verwirkt.
Wenn Luke nur zurückgekommen wäre! Bruder Adam, der kluge Mönch, hatte Recht behalten. Luke hatte die Vernunft des Richters unterschätzt, denn es war offensichtlich, dass dieser im Zweifelsfall zu seinen Gunsten entscheiden würde. Aber was sollte sie tun? Luke war fort, und niemand wusste, wo er steckte. Am liebsten wäre Mary in Tränen ausgebrochen.
»Ich glaube, damit wäre alles erledigt.« Der Richter warf dem Gerichtsdiener einen aufmunternden Blick zu. Die Zuschauer schickten sich zum Gehen an. »Oder steht noch etwas an?«
»Ja.«
Mary zuckte zusammen. Tom hatte sich bei Beginn der Verhandlung zu einigen anderen Männern gesellt, sodass sie ihn nicht hatte beobachten können, weil ihr die Köpfe der übrigen Anwesenden die Sicht versperrten. Nun hörte sie seine Stimme, und da er aufgestanden war, erblickte sie ihn deutlich. Er drängelte sich zum Richter vor. Gleichzeitig bemerkte sie, dass sich an der Tür links von ihr etwas bewegte.
Bald hatte sich Tom vor dem Richter aufgebaut. Sein Haar war zerzaust, er trug ein ledernes Wams und schien ausgesprochen kriegerischer Stimmung zu sein.
»Wir haben keine Mitteilung erhalten. Dieser Fall ist nicht vom Strafgericht an uns weitergeleitet worden«, sagte der Gerichtsdiener spitz.
»Da wir nun einmal hier sind, können wir uns die Sache genauso gut anhören«, widersprach der Richter. Er betrachtete Tom mit strenger Miene. »Was hast du vorzubringen?«
»Diebstahl, Mylord!«, brüllte Tom so laut, dass das Gebälk erzitterte. »Hundsgemeinen
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