Der Wald der Könige
Forest trat erst im April zusammen. Sie erörterten auch Bruder Adams Vorschlag, Luke solle sich stellen, doch der Laienmönch schüttelte nur den Kopf.
»Der hat leicht reden. Da der Abt und der Prior mich im Stich gelassen haben, kann alles Mögliche geschehen. Wenigstens bin ich so auf freiem Fuß.«
Maria genoss diese Abende mit ihrem Bruder sehr. Er hatte viele Geschichten zu erzählen und beschrieb ihr die Abtei, den Prior mit seinem gebeugten Gang und den klauenähnlichen Händen und alle Laienbrüder und Mönche. Manchmal lachte Maria so laut, dass sie schon befürchtete, sie könnte die Kinder geweckt haben. Luke hatte etwas Sanftes und Schlichtes an sich. Er schien gegen niemanden einen Groll zu hegen, nicht einmal gegen Grockleton.
Eines Abends hatte Maria ihn nach Bruder Adam gefragt.
»Die Laienbrüder wissen nicht so recht, was sie von ihm halten sollen. Aber die Mönche haben ihn alle gern.«
Eigentlich hatte Maria sich nicht gewundert, dass der verträumte, freundliche Luke Laienbruder geworden war. Eine Frage konnte sie sich dennoch nicht verkneifen: »Vermisst du es manchmal nicht, eine Frau zu haben, Luke?«
»Ich weiß nicht«, erwiderte er leichthin. »Ich hatte noch nie eine.«
»Macht dir das nichts aus?«
»Nein.« Er lachte zufrieden auf. »Im New Forest gibt es immer so viel zu tun. Findest du nicht?«
Maria lächelte und erwähnte das Thema nicht mehr. Jetzt, da er auf der Flucht lebte, konnte er sich ohnehin keine Frau suchen.
Sie sprachen auch über Furzeys und Prides Streit wegen des Ponys.
Natürlich hatte Luke Mitleid mit ihr und fragte, wie lange dieser Streit denn noch dauern werde.
»Sicher noch ein oder zwei Jahre.«
Als Tom Ende Januar wieder zu Hause war, konnten Maria und Luke sich nur noch selten treffen, um rasch ein Wort miteinander zu wechseln. Und da wirklich kein Ende des Zerwürfnisses abzusehen war, fühlte Maria sich bald selbst wie im Gefängnis.
Eines Tages teilte Luke seiner Schwester mit, dass er fort wollte.
»Wohin?«
»Das kann ich nicht sagen. Besser, du weißt es nicht.«
»Wirst du den New Forest verlassen?«
»Mag sein. Vielleicht sollte ich das wirklich tun.«
Zum Abschied nahm sie ihn in die Arme und küsste ihn auf die Wange. Das Wichtigste war, dass er den Häschern nicht in die Hände fiel. Maria fühlte sich sehr einsam.
Am Donnerstag nach dem Festtag des heiligen Markus im zweiundzwanzigsten Jahr von König Eduards Regierung – also an einem regnerischen Apriltag im Jahre des Herrn 1295 – trat das Grafschaftsgericht des New Forest feierlich in der großen Halle des königlichen Herrensitzes von Lyndhurst zusammen.
Es war ein beeindruckender Anblick. Die Wände der Halle waren mit kostbaren Wandbehängen und den Geweihen gewaltiger Böcke und Hirschbullen geschmückt. Der Vorsitzende Richter thronte auf einem Stuhl aus geschwärzter Eiche, der auf einem Podest stand. Er trug ein prächtiges grünes Gewand und einen purpurroten Mantel. Seine Beisitzer, ebenfalls auf Eichenstühlen platziert, waren die vier adeligen Forstaufseher, die als Magistrat und Leichenbeschauer fungierten und dem untergeordneten Strafgericht vorstanden. Die Förster und Viehinspektoren – letztere waren für die im New Forest weidenden Nutztiere verantwortlich – waren ebenfalls anwesend. Außerdem hatte jedes Dorf und jede Gemeinde einen Vertreter geschickt, der über dort verübte Verbrechen Bericht erstatten sollte.
Zwölf Geschworene standen dem Gericht zur Seite, adelige Herren, die in dieser Gegend hohes Ansehen genossen. Jeder, dem ein Schwerverbrechen zur Last gelegt wurde, konnte verlangen, dass die Geschworenen über seine Schuld oder Unschuld entschieden. Der König war ein Freund von Geschworenenverhandlungen und förderte sie nach Kräften.
Heute war auch der Prior von Beaulieu erschienen, da sich der Abt noch immer im Auftrag des Königs auf Reisen befand. Die beiden Sheriffs der Nachbargrafschaften führten den jungen Martell und dessen Freunde vor. Seit langer Zeit hatte keine so große Versammlung mehr stattgefunden, und in der Halle drängten sich die Zuschauer.
»Hört, hört, hört!«, rief der Gerichtsdiener. »Die Sitzung ist eröffnet. Alle, die ein Anliegen an das hohe Gericht haben, mögen vortreten.«
Zuerst wurde eine Reihe von Fällen entschieden, die alltägliche Dinge betrafen. Ein Mann hatte Holz im New Forest gestohlen. Ein anderer sich – man bezeichnete diese Tat als assart – verbotenerweise Land
Weitere Kostenlose Bücher