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Der Wald der Könige

Der Wald der Könige

Titel: Der Wald der Könige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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sie wachte. »Ich bin dir näher, als du glaubst, mein Mädchen«, murmelte er zufrieden. Er hatte solche Freude daran, unbemerkt umherzuschleichen, dass er auch öfter seinen Bruder John beobachtete. Das Pony durfte inzwischen auf dem Feld weiden, wurde aber immer von einem von Johns Kindern gehütet.
    Natürlich wanderte Luke oft stundenlang durch den New Forest.
    An diesem Tag führte ihn sein Weg in nördlicher Richtung von Burley nach Lyndhurst. Es war still im Wald. Überall wuchsen riesige Eichen. Manchmal war dort, wo der Sturm einen Baum gefällt hatte, eine kleine Lichtung entstanden, sodass man durch die Lücke im Blätterdach den Himmel erkennen konnte. Hin und wieder blieb Luke stehen, betrachtete einen mit Flechten bedeckten Baumstamm oder sah nach, was für Lebewesen sich unter einem abgefallenen Ast verbargen. Gerade hatte er das Dorf Minstead hinter sich gelassen und einen Teil des New Forest erreicht, der an eine Heide grenzte, als er auf etwas aufmerksam wurde.
    Es war ein winziger Gegenstand, nur eine Eichel, die den hungrigen Schweinen im letzten Herbst entgangen war. Nun war sie auf dem modrigen, braunen Laub aufgeplatzt, und kleine Wurzeln bohrten sich in den Boden.
    Luke lächelte. Es gefiel ihm, die Dinge wachsen zu sehen. Die weißen Würzelchen der Eiche wirkten so zart. Eine kleine grüne Blattspitze ragte hervor. Wie erstaunlich, dass dies der Beginn einer mächtigen Eiche sein sollte. Dann schüttelte Luke langsam den Kopf. »Hier wirst du es nicht schaffen«, murmelte er.
    Vorsichtig grub Luke mit den Händen den Setzling aus und nahm ihn in einem Bett aus Erde mit, um ihn nicht zu verletzen. Nur wenige Meter entfernt stand eine Gruppe Stechpalmen, um die herum Besenginster wuchs. Luke kämpfte sich durch das Gestrüpp, ohne auf die Kratzer an seinen Armen zu achten, und pflanzte den Setzling ein. Dann blickte er nach oben zu dem klaren, blauen Himmel. »Hier kannst du wachsen«, sagte er zufrieden und machte sich wieder auf den Weg.
     
     
    Bruder Adam kannte die Abtei Beaulieu so gut, dass er sich sogar mit verbundenen Augen darin zurechtgefunden hätte.
    Sein Lieblingsplatz war die Reihe geschwungener Nischen, die sich an der Nordseite des großen Kreuzgangs gegenüber dem frater befand, wo die Mönche ihre Mahlzeiten zu sich nahmen. Hier war es völlig windgeschützt. Die Nischen wiesen nach Süden und fingen die Sonne ein. Ein Buch in der Hand, saß Bruder Adam auf einer Bank in einer dieser Nischen und blickte auf die große, viereckige, vom Kreuzgang umgebene Wiese hinaus. Der süße Duft frisch gemähten Grases und der schärfere der Gänseblümchen stiegen ihm in die Nase. Adam fand, dass kein dem Menschen bekannter Ort dem Paradies so nahe kam wie dieser Teil der Abtei.
    In den letzten Wochen hatte er nur selten Gelegenheit gehabt, sich diese Muße zu gönnen. Die Arbeit auf den Gütern hatte seinen Tageslauf verändert. Doch an diesem warmen Mainachmittag hatte er sich endlich einmal loseisen können und saß nun still und mit hochgeschlagener Kapuze – das Zeichen der Mönche, dass sie nicht gestört werden wollten – an seinem Stammplatz. Er blätterte gerade gemächlich in der Lebensgeschichte des heiligen Wilfried, als er von einem Novizen aufgeschreckt wurde, der um die Mauer gestürmt kam. »Bruder Adam!«, rief der junge Mann. »Komm schnell. Die Erlösung ist da. Alle sind losgegangen, um sie zu sehen.«
    Bruder Adam sprang auf. Natürlich handelte es sich nicht um die Erlösung – englisch: salvation –, wie der Versprecher des Novizen vermuten ließ, sondern um die Salvata, das Schiff der Abtei, ein gedrungenes Gefährt mit viereckigen Segeln, das häufig im Einsatz war. Der nächste Hafen hinter der Mündung des Flusses von Beaulieu war nicht weit vom Kloster entfernt. Am Beginn des Meeresarms Solent, östlich des New Forest, war in den letzten Jahrhunderten ein geschäftiger kleiner Hafen namens Southampton entstanden. Die Mönche von Beaulieu verfügten über ein eigenes Wolllager am Kai, wo sie die Ware vor der Verschiffung aufbewahrten. Auf dem Rückweg nahm die Salvata in Southampton verschiedene Güter an Bord, einschließlich des französischen Weins, der den Gästen des Abts so gut mundete. Von Southampton aus fuhr das Schiff die Küste hinauf nach Kent und überquerte dann den Ärmelkanal. Oder es setzte seinen Weg fort bis zur Mündung der Themse und nach London. Hin und wieder segelte es sogar Englands Ostküste hinauf, zum Beispiel nach Yarmouth,

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