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Der Wald des Vergessens

Der Wald des Vergessens

Titel: Der Wald des Vergessens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reginald Hill
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leicht beschämt ins Auto und sperrte sie in den Kofferraum. Was Adas Unterlagen betraf, so war der richtige Ort dafür zu Hause, wo er einen Computer hatte, eine Rechenmaschine und ein Kopiergerät und – nicht zu vergessen – eine Frau, die wußte, wie man damit umging. Es war Zeit fürs Bett.
    Die Kleider auszuziehen war eine Anstrengung. Seine Glieder fühlten sich taub und schwer an, und die Luft in dem winzigen Schlafzimmer war zwar kaum weniger beißend als die frostige Nacht im Freien, doch sie schien bösartig an ihm zu kleben. Die kalten Laken auf dem schmalen Bett empfingen ihn wie ein Leichentuch.
    Der Schlaf ließ lange auf sich warten …
     
    … lange auf sich warten – vielleicht, weil ich keinen Rum zu mir nahm – es bestand keine Knappheit hier – wie die Jungs ihn pichelten!
    Und als er dann kam, der Dunkeltraum, war er schrecklicher denn je. Nur diesmal war da noch mehr – diesmal habe ich nicht geschrien und nicht versucht aufzuwachen, als die Mündungen aufblitzten und das heiße Metall brannte, diesmal bin ich geradewegs hindurch und kam auf der anderen Seite wieder heraus und lief weiter – das Herz pochte, die Muskeln schmerzten, die Lunge platzte – wie ein Mensch, der vor etwas davonläuft, das so abscheulich ist, daß er nicht anhält, bevor er hinfällt oder weiß, daß er es weit hinter sich gelassen hat.
    Zu guter Letzt mußte ich stehenbleiben – irgendwie wußte ich, daß ich nicht nur Kilometer gerannt war, sondern auch Jahre, siebzig oder achtzig vielleicht, fast sauber aus diesem schrecklichen Jahrhundert heraus, und daß ich nach Hause gerannt war.
    Wo sonst würde ein verängstigter Mensch hinrennen?
    O wie gut das war, Alice! Felder, so frisch und grün. Wälder, die vor Laub platzten. Der Fluß so rein und sauber, mit dicken Forellen, die Schatten in den Tümpeln warfen. In der Ferne konnte ich das dreckige alte Leeds liegen sehen, nur, daß jetzt kein Qualm mehr darüberhing, und der ganze schmierige Granit war perlgrau gewaschen. Über den alten ruhigen Schornsteinen schossen Türme und Türmchen aus schimmerndem weißem Marmor in die Höhe wie ein Bild in einem Märchen.
    Was Kirkton betraf, es war genau so, wie ich es mir ersehnt hatte, nur viel besser. All die verfallenen kleinen Häuser waren zu Gärten geworden, und die Fabrik hatte große luftige Fenster, und drinnen konnte ich Mädchen und Jungen lachen und reden hören. Und die alte, moorige Wiese draußen bei Haggs Hof, die so schrecklich stank, war entwässert und die Flußufer waren erhöht, so daß es nicht mehr zu Überflutungen kam. Und die Hauptstraße schien auch viel breiter zu sein, und das schlüpfrige Kopfsteinpflaster, auf dem sich der alte Tom Steddings den Hals brach, als sein Pferd ausrutschte, war gleichmäßig mit Teer überzogen, und das Maisterhouse mit seinen roten Ziegeln hinter den Bäumen glühte, und die Fugen glänzten, als wäre es erst gestern erbaut worden.
    Sogar St. Marks sah ein ganzes Stück einladender aus, denn der Pfarrer hatte die düsteren Fenster herausgerissen, die uns Kinder so erschreckten mit ihrem Blut und den Flammen, und an ihrer Stelle hatte er durchsichtiges neues Glas einsetzen lassen, durch das die Sonne hereinfloß wie Quellwasser. Selbst die alten Grabsteine waren gesäubert worden, und ich kam auf den Gedanken, meinen eigenen sehen zu wollen, nur fiel mir dann ein, daß ich nicht dort begraben werden würde, bei den anderen meines Namens, sondern weit weg überm Meer, wo niemand mich je finden würde. Und kaum daß ich den Gedanken gehabt hatte, da wurde ich wieder an diesen schrecklichen Ort zurückgeholt.
    Aber ich wollte mich nicht so einfach holen lassen und kämpfte dagegen an und klammerte mich fest und lugte über die Mauer in den Schulhof, um die Kinder alle so glücklich und stark und frei spielen zu sehen. Und ich fragte mich, ob eines von ihnen von mir abstammte, und ich glaubte, ein vertrautes Gesicht zu sehen. Dann ein fernes Krachen, als würden sie in Abels Steinbruch sprengen, nur, daß ich wußte, es war dem nicht so, und eine weit entfernte Stimme sagte, daß es ein paar arme Teufel erwischte, und ich wollte nicht blinzeln, obwohl mir die Sonne geradewegs in die Augen schien, aber ich mußte blinzeln, und obwohl es nur eine Sekunde oder sogar weniger dauerte, als ich die Augen wieder öffnete, war die Sonne weg, und die Kinder waren weg, und alles was ich sehen konnte, war der Nachthimmel durchs Fenster, rot und schrecklich wie

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