Der Wald des Vergessens
ihm nicht sagen wollte, was er wußte, schien für immer in seinem Sessel bleiben und reden zu wollen, nachdem die Hürde genommen war. Pascoes Instinkt, der durch die vielen Jahre der Befragungen sehr fein geworden war, wußte, daß noch mehr folgen würde, daß noch eine Menge Fragen der Antwort harrten. Doch nicht jetzt. Nicht jetzt. Nach diesem Bombentreffer wollte er nur noch allein in den Trümmern sitzen. Er hatte Studholme fast aus dem Haus geschoben, sich einen Scotch von dalzielesken Maßen eingegossen und war dann umhergewandert, bis er im Garten angekommen war, weil er das Bedürfnis nach Weite, Distanz und die bewölkte Gleichgültigkeit des Himmels verspürte.
Die Kälte hatte ihn wieder ins Haus getrieben, wo er feststellte, daß sein Umherwandern Rosie aufgestört hatte. Mit riesiger Anstrengung hatte er den emotionalen Vulkan in seinem Inneren so in den Griff bekommen, daß das Kind ihn nicht bemerkte. Er hatte ihr Quengeln mit einer Lieblingsgeschichte besänftigt, und als der Schlaf endlich ihre makellosen Züge entspannte und sie in der atemberaubenden Frische des allerersten Frühlings dalag, hatte er auf sie hinabgesehen, dann die Augen geschlossen und sich vorgestellt, er würde sie nie wieder sehen.
Er öffnete die Augen. Sie war noch immer da. Er blieb bei ihr sitzen, bis er das Auto auf der Auffahrt hörte und wußte, daß Ellie zurück war.
Sie tranken zusammen einen Kaffee, während sie ihm mit Entzücken von Dalziels Anwesenheit auf der Party und die sich daran anknüpfenden Spekulationen erzählte. Pascoe hatte auf Klatsch und Neuigkeiten gleichermaßen träge reagiert und war schließlich zu Bett gegangen, da er so früh aufgestanden und so weit gefahren sei, wie er sagte. Er wollte mit Ellie reden, aber nicht, bevor er nicht etwas Vernünftiges, etwas Zusammenhängendes zu sagen hatte. In seinem Gemüt gab es dunkle Stellen, über die er nicht sprechen konnte, noch nicht, vielleicht nie. Als er jünger war, hatte er gesagt, Liebe sei Offenheit, äußerste Nacktheit zweier Körper, Geister und Seelen. Aber jetzt nicht … jetzt nicht … jetzt nicht …
… Ich hatte gedacht, alles mit Alice besprechen zu können, wenn ich auf Heimaturlaub war, aber ich habe festgestellt, ich schaffte es nicht. Es ist zu etwas gekommen, das den Namen Die Schlacht bei Arras trägt, und alle Zeitungen haben davon berichtet als einem berühmten Sieg. Da war ich dabeigewesen, habe ich entdeckt. Da haben Duggie Granger, Kit Bagley, Micky Sidebottom und Gott weiß wie viele Zehntausende das höchste Opfer gebracht, wie sie es daheim in Blighty [19] nennen, wenn die einem die Eingeweide aus dem Leib fetzen und das Gehirn durch den Stahlhelm sieben. Wie hätte ich mit Alice oder sonst jemand darüber sprechen können? Oder als ich von unseren glorreichen Verbündeten las, wie konnte ich ihnen erzählen, was ich vom Burschen eines Offiziers auf Urlaub gehört hatte. Daß es den Deutschen im Osten von uns noch schlimmer ergangen ist und daß sie ihre Gewehre weggeschmissen hätten und nicht mehr kämpfen wollten. Und daß ganze Trupps abkommandiert und von ihren Landsleuten als Meuterer erschossen wurden.
Worüber wir uns noch unterhalten konnten, das war die Russische Revolution. Als ich Mr. Cartwright anrief, sagte er, es bedeutet seiner Meinung nach, daß Rußland im Handumdrehen aus dem Krieg raus ist und daß es die Chance für alle europäischen Arbeiter ist, sich zu vereinigen und die Regierungen zu zwingen, es den Russen nachzumachen. Es fand in jener Woche im Coliseum Cinema in Leeds eine große Versammlung auf nationaler Ebene statt, und er hat mich eingeladen, daran teilzunehmen. Das habe ich dann auch getan, obwohl Ada gesagt hat, ich soll aufpassen, weil ich ja weiß, wie sehr Mr. Grindal gegen die Treffen ist. Ich hab erwidert: Was soll ich jetzt mit Mr. Grindal? Und bin trotzdem hingegangen. Es war sehr aufregend. Mr. Snowden hat eine gute Rede gehalten, und ich habe auch etwas gesagt, als diese Frau, die eine Suffragette war, wie man sie nennt, gesagt hat, natürlich will sie Frieden, aber wir müßten sicherstellen, daß die ganzen edlen Opfer unserer braven Jungs nicht vergeblich gewesen sind.
Da bin ich aufgesprungen und hab geschrien, wenn sie gesehen hätte, was ich gesehen habe, die Körper von Freunden in Stücke zerfetzt für ein paar hundert Meter Ödland, dann wüßte sie, daß schon jetzt alles umsonst ist. Einige Leute klatschten Beifall, aber nicht viele, und eine
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