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Der Wald des Vergessens

Der Wald des Vergessens

Titel: Der Wald des Vergessens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reginald Hill
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oder zwei, wie etwa der Theologieprof, dafür bekannt, daß sie beim ersten Gläserklingen auftauchten, aber es waren nicht nur die alkoholischen Trittbrettfahrer vertreten, auch die moralischen sorgten für eine hohe Gästezahl. Man befand sich offensichtlich am politisch korrekten Ort.
    Was dennoch nicht erklärte, was Dalziel hier in der Gesellschaft von Cap Marvell machte. Wie Jane Austen einen guten Blick für Ehebrecherinnen hatte, spürten Ellies feine Sensoren, ohne daß sie es glauben wollte, ein starkes physisches Band zwischen den beiden.
    Sie sagte: »Nach dem, was ich gehört habe, war gestern abend allerhand los?«
    Cap, die dem Gespräch zwischen Ellie und Dalziel aufmerksam zugehört hatte, sagte ziemlich scharf: »Dann hat Wendy also geplaudert?«
    »Eigentlich nicht. Wir wurden unterbrochen. Sie kam mir aber irgendwie erschüttert vor.«
    »Das überrascht mich. Gewöhnlich macht sie nicht den Eindruck eines Menschen, den etwas erschüttern kann. Schließlich waren es doch nur ein paar alte Knochen.«
    »Es gibt mehr als nur einen Blickwinkel. Von den alten Knochen hat sie eigentlich nicht viel gesagt. Über die habe ich mehr in den Nachrichten erfahren, die ich gehört habe, bevor ich kam.«
    »Oh, gut. Hast du gehört, Andy? Ein Schwenken des Zauberknüppels, und schon fallen die Mauern. Mit etwas Glück bedeutet das, daß sie mein Interview in der Lokalsendung nach den Hauptnachrichten ausstrahlen. Andy, wenn du nichts dagegen hast, bleibe ich nicht so lange. Ich würde gern sehen, wie es geworden ist.«
    »Wie du willst, Mädel«, sagte Dalziel. »Ich sag den Typen nur, was sie ausstrahlen dürfen und was nicht, mir anzusehen, was sie senden, brauche ich nicht.«
    Immer merkwürdiger. Hieß das, daß er erwartete oder daß man erwartete, daß er mit ihr nach Hause ging? Und schwang da mit, daß er für Caps Fernsehauftritt verantwortlich war?
    »Ich wollte damit nicht sagen, daß auch du früh gehen sollst«, sagte Cap gleichmütig.
    Merkwürdig, wie man sagen kann »du bist frei« und gleichzeitig einen Ruck an der Leine tun kann, dachte Ellie und grinste so, daß Dalziel es merkte.
    »Ist mir auch recht, meine Liebe«, sagte er lässig. »Denn hier sind eine Menge Leute, mit denen ich noch nicht gesprochen habe. Ich kann sie doch nicht gekränkt nach Hause gehen lassen. Saufnase, bist du das? Wie geht’s? Strafe schon bezahlt? Meiner Treu, der Anwalt sollte für Wales singen, den du da aus London eingeflogen hast. Wenn du jemals vorhast, deine Frau um die Ecke zu bringen, laß dich von ihm vertreten, und ich wette, du kommst mit Bewährung davon.«
    Saufnase, das heißt Charles Burgoyne, Vizekanzler der Universität von Mid-Yorkshire, der gerade eine Anzeige wegen Alkohol am Steuer mit einem Bußgeld ohne Führerscheinentzug überstanden hatte, senkte seine Adlernase, um den Dicken ins Visier zu nehmen, und sagte: »Bewährung, Andy? Bei dem Honorar erwarte ich mindestens sofortige Verjährung. Nun steh hier nicht rum mit einer leeren Dose in der Hand. Komm, gehen wir sie auffüllen.«
    Und Dalziel, der nie etwas dagegen hatte, von einem ehrenwerten Widersacher Hilfe anzunehmen, solange es diesem nicht zu Kopfe stieg, lachte und folgte der eleganten, patrizierhaften Gestalt zur Bar.
    Die beiden Frauen sahen ihm nach.
    »Einfach unglaublich, nicht?« sagte Cap.
    »Jenseits aller Vorstellung«, bestätigte Ellie. »Kennen Sie ihn schon lange?«
    »Lange genug«, sagte die andere mit einem Anflug von Verschmitztheit, fügte dann aber hinzu, wie um das Gespräch wieder in konventionelle Bahnen zu lenken: »Aber natürlich nicht so lange wie Sie. Durch Ihren Mann, meine ich.«
    »Ich bin davon ausgegangen, daß Sie das meinen«, sagte Ellie.
    Irgend etwas ging hier vor, daran gab es keinen Zweifel, aber noch größere Sorge machte ihr, was mit ihr selbst vorging. Sie und Cap Marvell waren nie befreundet gewesen, sie hatten nur genügend Gemeinsamkeiten, daß sich ihre Pfade von Zeit zu Zeit kreuzten. Ellies Glaube an die weltweiten Schwestern war politisch, nicht religiös, und sie verspürte keinen Drang, alle Schwestern gleichermaßen zu lieben. Außerdem hatte sie den Verdacht, daß die neue Cap Marvell noch immer die alte Honorable Mrs. Rupert Pitt-Evenlode war, nur kleingeschrieben, die ihr Vermögen hinter sich herschleppte wie Marley [17] seine Kette und für alle Ewigkeit nichts mit der wirklichen Welt zu tun hatte, in der die Menschen ihren Lebensunterhalt selbst verdienen mußten. Ihre

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