Der Wald Steht Schwarz Und Schweiget
fällig«, sagte Olga.
»Eigentlich habe ich keine Angst vor Hunden. Im Gegenteil. Aber der hier …« Er schüttelte entgeistert den Kopf. »Der war wie aufgehetzt. Total von Sinnen. So was habe ich noch nie erlebt.«
Olga hatte den Eindruck, dass Thorvald erst jetzt wirklich begriff, was gerade passiert war.
»Christian hat mir einen Wagen besorgt«, er drehte sich zu Olga und lächelte. »Ich bin in einer guten Position. Er tut alles für mich.« Thorvald zog eine lange Strähne aus Olgas Haar und wickelte sie um seinen Finger.
»Ich habe das Auto unten am ›Luis‹ stehen lassen. In der letzten Kurve vor der Hütte habe ich ihn gesehen. Erstand vor der Veranda und glotzte mich an. Langsam bin ich weitergegangen. Du weißt ja … den Hund nicht anstarren, nicht wegrennen, weil das den Jagdreflex auslöst … der ganze Scheiß. Als ich an ihm vorbei die Verandatreppe hinaufwollte, sprang er mich an. Einfach so.«
Olga erzählte Thorvald von den Augen am Fenster.
»Ich sag doch. Den Hund hat jemand aufgehetzt. Wahrscheinlich hat er sich da draußen verkrochen und gewartet«, meinte Thorvald.
»Aber warum? Mitten in der Nacht. Woher sollte jemand wissen, dass du nachts noch hier auftauchst? Selbst ich wusste nichts davon.«
»Du solltest nicht mehr allein hier oben bleiben, wenigstens so lange nicht, bis sich die Dinge wieder geordnet haben«, sagte Thorvald. »Kannst du nicht zu deinem Vater oder zu deinem Großvater?«
»Kommt nicht in Frage«, erwiderte Olga, die sich inzwischen an Thorvald gekuschelt hatte. »Du musst eben versuchen, abends hier zu sein. Bei mir.«
Thorvald gab ihr einen Kuss auf die Nase und erhob sich mühsam. Er nahm Olgas Hand und langsam gingen sie die Treppe hinauf.
Der Hund war auf der Veranda eingeschlafen, ein Stück Jeansstoff unter seiner linken Pfote.
12
Im Ruhrgebiet hatte es geregnet: sintflutartige Regenfälle hatten die Keller aller Orten unter Wasser gesetzt, die Kanalisation war übergelaufen, Bäume waren auf Autos und Häuser gestürzt. Im Wald jedoch waren nur die Randerscheinungen des Unwetters zu spüren gewesen. Es war vorbeigezogen und hatte lediglich den nächtlichen Wind mit ein paar Regentropfen gesandt, kaum der Rede wert, um den hitzegeplagten Menschen eine kurze Pause zu gewähren.
Thorvald und Olga hatten sich ins Bett gelegt und waren eng aneinandergeschmiegt sofort eingeschlafen. Gegen halb acht hatte Thorvald sich aus dem Bett gequält und war zu Roman gehumpelt, der sich das Bein ansah.
»Bist du verrückt? Warum kommst du erst jetzt?«
Die Wunde hatte zu schmerzen begonnen, eine Entzündung war nicht auszuschließen. Roman hatte die Wunde desinfiziert und verbunden und Thorvald frisches Verbandsmaterial mitgegeben.
Kaum zurück, war Thorvald wieder zu Olga ins Bett gekrochen, die schließlich gegen Mittag aufgewacht war.
»Thor?«
»Ja!«
»Wann fährst du?«
»Jetzt!«
»Wann kommst du wieder?«
»Ich weiß es nicht, ich ruf dich an!«
Kurz darauf hatte Olga die Tür zufallen hören.
Jetzt saß Olga im Zimmer von Kriminalhauptkommissar Kirschbaum und wartete. Sie war in sich zusammengesunken und immer noch verzaubert von Thorvalds Nähe, seiner Wärme, seinem Geruch, sie fühlte sich warm und wohlig, wie in einer schlafenden Wolke. Erst auf der breiten Treppe des Polizeipräsidiums hatte sie die blanke Angst gespürt. Sie war seit den Ereignissen der vergangenen Nacht schreckhaft geworden. Olga und schreckhaft! Ein Widerspruch in sich. Und doch war sie schon zweimal heftig zusammengezuckt, nur weil ihr eine Haarsträhne ins Gesicht gefallen war.
Kirschbaum nahm ihr gegenüber an seinem Schreibtisch Platz, lehnte sich zurück und sah sie freundlich an.
»Was gibt‘s? Was führt Sie zu mir? Doch nicht etwa ein neuer Mord?«
»Aber ein Mordversuch.«
Schlagartig wurde er ernst und beugte sich nach vorn. »Was ist passiert?«
»Ein Hund hat Thorvald Einarsson angegriffen.«
»Ein Hund?« Kirschbaum runzelte die Stirn. »Der Hund eines Nachbarn?«
»Wir wissen nicht, wem das Tier gehört.«
»Was genau ist passiert?«
Olga erzählte ihm, was in der Nacht passiert war.
»Wo ist Herr Einarsson jetzt?«
»Er ist bei Proben im Opernhaus. Er singt im ›Fliegenden Holländer‹, am Sonntag.«
Kirschbaum sah sie fragend an.
»Er springt für einen kranken Sänger ein«, erklärte Olga. »Ist er verletzt?«
»Ja, er hat eine Wunde am Bein. Aber es geht, er kann wohl noch vom Tisch springen. – Bei den Proben, meine
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