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Der Wald Steht Schwarz Und Schweiget

Der Wald Steht Schwarz Und Schweiget

Titel: Der Wald Steht Schwarz Und Schweiget Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Tessendorf
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beschlagen, so dass sie das rege Treiben draußen wie durch Nebelschwaden wahrnahm. Die alte Jagdhütte ihrer Familie war zwar sehr solide gebaut und hatte schon einige Unwetter überstanden, aber es war jedes Mal wieder unheimlich, wenn der Wind versuchte, anzugreifen. Mal packte er sich das Dach, dann drückte er in heftigen Stößen gegen die Giebelwand und rüttelte an den Balken. Olga kannte zwar den Grundtenor der windigen Konzerte, trotzdem schauderte sie immer wieder, wenn der Wind eine Ritze in einem bestimmten Winkel anblies.
    Sie wischte ein kleines Guckloch in die beschlagene Scheibe und versuchte, etwas zu erkennen. Das Verandalicht war erloschen und sie sah nur ein Paar weit aufgerissene Augen, die langsam zurückwichen. Mit einem Aufschrei sprang sie zurück, so dass der Stuhl nach hinten kippte und sie sich den heißen Tee über die nackten Beine schüttete.
    »Was war das? Verdammt noch mal, was war das?« Ihre Stimme überschlug sich und sie fing vor Schreck beinahe an zu heulen. Sie stellte die Tasse weg, nahm sich schnell die Decke, die auf den Boden gerutscht war, und wickelte sie fest um ihre Schultern, so als ob sie ihr Schutzgewähren könnte. Sie holte tief Luft. Der entsetzliche Schreck schlug in Wut um. Ohne nachzudenken, riss sie die Tür weit auf und rannte hinaus. Sie ging nach rechts an das Fenster, an dem sie gesessen hatte – nichts. Dann drehte sie sich einmal um die eigene Achse, es war niemand da. Das Haus stand tot und verlassen da.
    Plötzlich versetzte der Wind ihr einen kräftigen Stoß. Hinterlistig, ohne Vorwarnung. Ihre Decke flog weg. Erst jetzt merkte sie, dass sie zitterte. Sie wickelte sich wieder in die Decke ein und sah von außen durch das Fenster in das gemütliche, warm erleuchtete Zimmer. Was mochte der stille Beobachter wohl gedacht haben, als er die Frau hier mit Decke und Teetasse hatte sitzen sehen. Was machte einer um drei Uhr nachts hier draußen? Das »Luis« hatte doch längst geschlossen. Gar nichts. Wahrscheinlich war sie übermüdet und hatte sich alles nur eingebildet.
    Sie lächelte. »Olga, du hast gerade deinem zweiten Ich in die Augen gesehen.«
    Als sie gerade wieder hineingehen wollte, bemerkte sie genau auf der Höhe ihrer eigenen Nase einen runden Fleck am Fensterglas. Jemand hatte seine dicke, fettige Nase von außen gegen die Scheibe gedrückt.
     
    Olga hatte alle Fensterläden verschlossen und war wieder ins Bett gegangen. Doch an Schlaf war nicht mehr zu denken. Hellwach lag sie auf dem Rücken, hörte dem Pfeifen und Singen des Windes zu. Immer wieder fielen ihr diese Augen ein, die sie angestarrt hatten. Hatte sie sich getäuscht? Sie war nicht in der Lage, die Frage zu beantworten.
    Sie wünschte, sie würde endlich einschlafen. Auch wenn dann die schweren Träume wiederkehren würden.Bisher hatte sie keine Erklärung dafür gefunden, warum sie in der Hütte immer so viel träumte, die ganze Nacht hindurch. Immer war da jemand, der sich über sie beugte, ihre Arme nahm und sie wegziehen, wachrütteln oder ihr etwas sagen wollte. An alle diese Träume konnte sie sich tage-, manchmal wochenlang erinnern. Plötzlich war draußen ein lauter Knall zu hören. Der Wind musste irgendetwas umgestoßen haben. Nur dass sich Olga ziemlich sicher war, dass auf der Veranda gar nichts stand!
    Augenblicklich saß Olga kerzengerade im Bett. Ihr Herz schlug bis zum Hals. Vorsichtig stand sie auf, huschte die Treppe hinunter und blieb stehen. Etwas kratzte an der Tür. Dann war es ruhig.
    Sie blickte Hilfe suchend umher, schnappte sich den Besen. Alles ruhig. Dann hielt Olga es nicht mehr aus. Abwarten, das gehörte nicht zu ihren Stärken. Dafür hatte ihr Vater sie als Kind oft gescholten. Sie drehte langsam den Schlüssel um, aber schon fing das Schloss entsetzlich an zu quietschen. Sie musste also gleichzeitig drehen, die Klinke herunterdrücken und die Tür aufreißen. Bei drei!
    Sie zählte und riss mit einem Schrei die Türe auf. Der große Hund war gerade im Begriff davonzutrotten. Doch als das Geräusch an der Tür zu hören war, schnellte er herum und starrte sie mit gelben Augen und hochgezogenen Lefzen an. Im letzten Moment konnte Olga die Tür wieder zuknallen. Schwer keuchend stand sie da, drehte eilig den Schlüssel herum. Es gab Hunde, die konnten Zeitungen holen, sich selbst Futter einkaufen, in den Napf schütten und dann auffressen. Oder Türen aufmachen. Dieser hatte vielleicht andere Fähigkeiten. Würde er sich einmal mit seinem

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