Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Wald Steht Schwarz Und Schweiget

Der Wald Steht Schwarz Und Schweiget

Titel: Der Wald Steht Schwarz Und Schweiget Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Tessendorf
Vom Netzwerk:
denken? Weil sie ihn hier gesehen hatte.
    Sie hörte, wie Robert die Treppe heraufkam. Langsam, behutsam. Ja, so war es auch vor drei Tagen gewesen, als jemand leise das Haus betreten und sie aufgeschreckt hatte. Ruben? Machen Gespenster Geräusche? Genauso hatte Olga vor dem Schreibtisch gestanden und in den Papierstapeln geblättert. Und irgendwo dazwischen hatten Fotos gelegen. Auf einem war Ruben zu sehen gewesen. Vermutlich hatte Juliane es aus den Bildern gefischt, die Olga zum Klassentreffen mitgebracht hatte.
    »Oh Gott«, dachte Olga. »Hätte ich diese verfluchten Bilder doch nie mitgebracht. Obwohl   … ich hatte kein Foto von Ruben dabei.«
    Sie suchte den Papierstapel, in dem die Fotos liegen mussten. Es waren mehrere Schwarz-Weiß-Fotos gewesen, aber sie waren nicht mehr da.
    Robert stand unruhig hinter ihr. »So ein Quatsch«, sagte er und ging wieder zur Tür. »Ich muss hier weg.«
    Olga drehte sich zu ihm um. Robert schien seine Coolness zu verlieren.
    »Wo willst du hin?«
    »Das werde ich dir gerade sagen!«, rief er verächtlich.
    »Viel Glück!«, sagte sie so leise, dass er es nicht mehr hören konnte.
    Olga vernahm das Geräusch der beiden Flügel des Küchenfensters, als Robert sie von außen zudrückte. Dann war alles ruhig. Plötzlich tat er ihr leid. Robert war einer der kleinen Fische, die sie drankriegen würden. Für ihn würde nichts mehr so sein wie früher. Sie holte tief Luft. Hier war etwas Größeres im Spiel. EtwasDunkleres, Gefährlicheres. Etwas, das Roberts kriminelles Kleinwarengeschäft bei weitem überschattete. Und vor dem sie sich in Acht nehmen musste. Erneut fragte sie sich, warum sie die Dinge nicht Martin Kirschbaum überließ.
    Aber Olga war klar geworden, dass der Kriminalhauptkommissar dabei war, einen entscheidenden Fehler zu machen. Er unterschätzte die Waldbewohner. An sie würde er nicht mehr herankommen. Die hatten ihre Reihen längst geschlossen.
    Laut seufzend ging sie jeden Papierberg noch einmal durch.
    Sie hatten ihre Reihen zwar geschlossen. Aber Olga hatte den Fuß in der Tür.
    Sie ging in Julianes Schlafzimmer und setzte sich aufs Bett. Sie nahm den Stapel Bücher, der neben dem Bett auf dem Boden lag. Sie blätterte ein Buch nach dem anderen durch. Nichts. Sie stand wieder auf und ging an den Schreibtisch. Über dem Tisch, an der Wand war ein Regal befestigt, auf dem einige Bücher lagen. Sie nahm das Buch mit dem Titel ›Erinnerungen an die Christliche Seefahrt‹ und schlug es auf. Da waren sie. Fest in die Bindung hereingedrückt, so dass sie bei flüchtigem Durchblättern nicht herausfallen konnten. Es waren Olgas Aufnahmen. Fünf Stück. Fünf Farbfotos. Nicht die, die sie auf dem Schreibtisch gesehen hatte, vor drei Tagen. Diese Fotos hatte Benno in der Nacht des Klassentreffens aussortiert. Thorvald, Hanna, Benno, Olga und Juli. Die Floßbilder.
     
    Eine Ewigkeit stand Olga nun schon in Romans Wohnzimmer und starrte in den grauen Garten. Sie dachte an Thorvald, der in diesen Minuten auf der Bühne standund versuchte, seine Geliebte davon zu überzeugen, dass
er
doch der Einzige für sie sei.
    Der Sturm, der mit dem heftigen Gewitter einhergegangen war, hatte die beiden hohen Tongefäße mit dem Oleander umgefegt. Sie waren an den Rand der Terrasse gerollt, das eine war dabei zerbrochen.
    Was hatte Olga denn erwartet? Ein Mann wie Thorvald. Immer in der Welt unterwegs. Gerade dabei, den Opernhimmel zu erobern. Von weiblichen Fans umlagert. »Nein, danke. Ich warte auf meine Olga. Die heiratet mich später. Ganz sicher.«
    Sie lachte verächtlich. Ihre Stärke war es, die Dinge so lange ruhen zu lassen, bis sie an Bedeutung verloren oder sich von selbst regelten. Thorvald war immer für sie da gewesen und sie hatte geglaubt, dass auch er so dachte.
    Das Band, dieses unsichtbare Band, das sie seit der Kindheit festhielten. Tristan und seine Isolde. Isolde und Tristan. Hatte der Trank seine Wirkung eingebüßt? Der fortgesetzte Schmerz, das pausenlose Herzeleid, an dem Tristan und Isolde zugrunde gehen sollten. Thorvald hatte das Band losgelassen. Sie war frei. Sie war gerettet. Und sie war allein.
    Ihr Telefon meldete sich. Prüfend sah sie auf das Display. Es war bestimmt wieder Benno, der von seinem Krankenbett aus telefonierte. Sie brachte es nicht übers Herz, ihn zu ignorieren.
    Sie drückte die grüne Taste, ohne etwas zu sagen.
    »Hallo?… Olga? Hier ist Elise Schwandt.«
    »Ja, Elise.« Olga nahm den Anruf völlig teilnahmslos

Weitere Kostenlose Bücher