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Der Wald Steht Schwarz Und Schweiget

Der Wald Steht Schwarz Und Schweiget

Titel: Der Wald Steht Schwarz Und Schweiget Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Tessendorf
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schweben schien.
    Olga schaute zum Himmel. Die Wolkendecke war aufgerissen und einige Sterne zeigten sich über dem Felsen. Es war ein wenig heller geworden. Auch hatten sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnt. Da entdeckte sie ihn. Der dunkle Schatten bewegte sich hin und her, dann erschien ein zweiter. Unbeweglich standen sie an der Felskante. Zwei Wächter der Nacht.
    Olga huschte lautlos um den See herum. Irgendwann merkte sie, dass sie zu weit gelaufen war. Sie machte kehrt und fand endlich den schmalen Weg, der durch den Wald hinauf zum Kopf des Felsen führte.
    Was um Himmels willen wollte ihr Vater hier? Sie traute sich nicht zu rufen. Jemand war bei ihm. Wer war an dem Waffenschrank gewesen? Warum war sie schon wieder so verdammt allein?
    Roman sprach mit ruhiger Stimme. Langsam näherte sie sich den dunklen Umrissen, die da oben an dem Felsen hockten. Die Stimme ihres Vaters. Einmal lachte er sogar. Dann war es wieder ruhig.
    Jemand lachte   … oder   … weinte? Olga schlich sich noch näher heran.
    »Schau runter. Komm!«
    Roman machte eine Pause.
    »Erinnerst du dich, was ich damals gesagt habe? Genau hier an dieser Stelle?«
    Keine Antwort.
    »Verdammt noch mal,
er
hat das getan. Nicht du. Komm und schau runter. Du musst dich erinnern.«
    Es herrschte wieder einen Augenblick Ruhe. Etwas raschelte im Laub hinter Olga. Dann wieder die vertraute Stimme ihres Vaters.
    »Er hat sich selbst das Recht gegeben, Gesetze zu überschreiten und zu töten. Auch wenn er wusste, dass er dafür bestraft wird. Und das vielleicht auch wollte.«
    »Und?«
    Olga konnte die andere Stimme nicht erkennen.
    »Er hat mehr gelitten, als wir uns das jemals vorstellen können. Und er
ist
bestraft worden, glaub mir.«
    »Warum bist du so anders? Verdammt! Warum bist du nicht so wie dein Vater?« Luis‘ Stimme überschlug sich. »Du musst irgendetwas tun. Der Alte ist tot. Du lebst!«
    »Du musst dich stellen.« Romans Stimme klang ruhig, aber eindringlich. »Wenn du ihnen klarmachst, dass es ein Unfall war, dann   …«
    »Ich verstehe überhaupt nicht, wie sie in dem kleinen Bach ertrinken konnte«, rief Luis verzweifelt. Olga sah undeutlich, dass er aufgestanden war. »Man wird mir kein Wort glauben. Und was, wenn man ihre Unterlagen findet? Da steht auch dein Name, Roman. Und meiner. Alles steht da drin, verstehst du? Alles! Dieses Biest hat alles herausgefunden. Und sie hat mich damals gesehen. Nein, nein, so einfach ist das nicht.«
    Unruhig ging er hin und her. »Der Alte nimmt uns noch alle mit, warte nur ab. Der hat auch noch von da oben Macht über uns. Seit er tot ist, habe ich erst richtig Angst vor ihm. Als ich Vincent und die Himmelreich vorhin nach Hause gefahren habe, hat er mich immer so merkwürdig von der Seite angeschaut.«
    »Warum bist du überhaupt in die Oper gefahren?«, fragte Roman.
    »Gudrun Himmelreich hat mich angerufen, weil es ihm plötzlich so schlecht ging. Wen hätten sie sonst anrufen sollen? Sie hatten doch keinen mehr. Aber das ist doch jetzt alles scheißegal.«
    Luis stand neben Roman, ganz nah an der Kante des Felsens. Langsam hob er den Gewehrlauf und zielte auf Romans Kopf.
    »Du wirst jetzt deine Tochter anrufen und ihr sagen, sie soll die Unterlagen rausrücken. Ich sage es ein letztes Mal! Sie oder diese arrogante Polizistin. Eine von beiden hat die Papiere irgendwo in der Hütte versteckt.«
    Olga tastete erschrocken ihre Hosentaschen ab. Ihr Telefon lag in Romans Garten.
    »Roman, ich setz die ganze Bruchbude da oben in Brand, ich mache Ernst!«
    Ein Gewehr wurde durchgeladen. Das Geräusch kam allerdings aus dem Wald. Olga drehte sich um und in diesem Augenblick jagte der Schuss durch die Luft, so dass es in ihrem Kopf weiß aufblitzte. Sie warf sich auf die Erde, die Arme über dem Kopf. Es dauerte eine Ewigkeit, bis der Knall verhallt war. In ihren Ohren rauschte ein mächtiger Wasserfall.
    Dem zweiten Schuss folgte ein Aufschrei. Olga hörte Schritte, die in den Wald liefen. Dann kamen andere Schritte, schwere Schritte, aus dem Wald zurück. Jemand stolperte über sie, ein Gewehr schlug am Felsen auf.
    Olga merkte, dass Thorvald über sie gefallen war und sich nun wieder aufrappelte.
    »Olga! Oh mein Gott!« Sie richtete sich mühsam auf. »Bist du verletzt?«
    Olga sah an sich hinab. »Ich weiß es nicht.« Er half ihrauf die Beine. »Ich glaube, mir fehlt nichts«, sagte sie verwirrt.
    Sie gingen langsam in Richtung der Felskante. Als Olga den Abgrund vor sich spürte,

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