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Der Wald wirft schwarze Schatten

Der Wald wirft schwarze Schatten

Titel: Der Wald wirft schwarze Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kari F. Braenne
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1640 , 1638 . Als er an einer der Türen vorbeigeht, hört er ein gedämpftes Kichern. Er hat das Bild einer Frau vor Augen, die auf einem Bett herumkriecht, in transparenter Unterwäsche, rot.
    Er fährt mit dem Lift zum Pool ins Untergeschoss. Das Licht ist noch an, aber die kleine Schwimmhalle ist leer. Er setzt sich auf einen der weißen Plastikstühle und betrachtet das blaugrüne Wasser. Es ist still. Außer einem quietschbunten Schwimmring, der am einen Ende des Beckens auf dem Wasser schaukelt und sachte gegen die Kante stößt, bewegt sich nichts. Am Beckenrand hat jemand ein Paar hellgrüne Flipflops vergessen, verziert mit Gänseblümchen aus Plastik. Er steht auf, geht zurück zum Lift, fährt eine Etage nach oben und betritt die Bar. Der Barkeeper wischt gerade den Tresen ab.
    «Sorry, we’re closing.»
    Wilhelm macht kehrt, geht an der Rezeption vorbei, durch die Drehtür am Eingang. Ein schwarzer Portier in Livree steht unter dem Baldachin.
    «Good night, Sir», sagt er.
    Wilhelm bleibt einen Moment auf dem Bürgersteig stehen und blickt die nachtdunkle Straße hinunter. Ein Rettungswagen rast mit heulenden Sirenen vorbei. Er tritt rasch wieder unter den Baldachin zurück, lehnt sich gegen einen der Pfosten und kneift die Augen zusammen, flucht leise.
    «Is everything all right, Sir?»
    Er blickt auf, der Portier steht neben ihm, die Hand auf seinem Arm.
    «Get your hands off me.»
    Der Portier weicht mit erschrockenem Blick zurück. «I’m so sorry, Sir.»
    Wilhelm nickt, wischt sich über den Ärmel und geht die Straße hinunter. Nur noch eine Nacht, dann ist er weg aus dieser beschissenen Stadt.
    Gelbe Taxis jagen über den Hügel und rasen in südlicher Richtung davon. Die Autoscheinwerfer huschen vorüber und verschmelzen mit dem Licht der Straßenlaternen. Er kommt an einem offenen Deli vorbei. Drinnen nur bleiches, grünliches Licht, aber die Obstauslage draußen hebt sich grell gegen die schwarze Nacht ab. Perfekte Apfelsinen, Äpfel und Bananen. Perfekt aufgebaut, leuchtend gelb, grün und orange.
    Er geht auf den Zebrastreifen zu, eine Frau kommt ihm entgegen. Üppiges blondes Haar, schöne Kurven, rote Lippen. Er begegnet ihrem Blick. Ihre Augen weiten sich ängstlich. Wilhelm sieht zu Boden, geht weiter, starrt auf den Bürgersteig, Quadrate aus Beton. Hier und da dunkle Kaugummiflecken.
    An der Ecke 64 th Street bleibt er vor einer Bar stehen. Die Tür ist zu, aber das Neonschild im Fenster blinkt
Yes we’re open
. Er zieht die Tür auf, tritt ein. Zwei Männer am Tresen blicken von ihren Drinks auf, nicken ihm einladend zu. Er weicht zurück, dann dreht er sich um, ohne Hast. Als hätte er ohnehin vorgehabt, wieder zu gehen, weiterzulaufen. Mit gleichmäßigen, ruhigen Schritten.
    Er biegt am Lincoln Center ab und betritt den Park. Die mächtigen Baumkronen ragen weit in den Himmel und halten die Dunkelheit unter sich fest, in tiefen Schatten. Ab und zu fällt der Schein einer Straßenlaterne auf die sachte fächelnden Blätter und taucht sie in ein kränkliches Knallgrün.
    Obwohl es still und einsam ist, hat er nichts zu befürchten. Er hat so regelmäßig geübt, dass er reflexartig reagieren würde, falls ihn jemand angreifen sollte. Er bleibt außer Atem im Schatten einiger Büsche stehen, wischt sich den Schweiß ab. Lange her, dass er spazieren gegangen ist. Lange her seit der letzten Wanderung.
    Er hört Vögel in den Wipfeln. Vögel, die nur nachts singen, oder die man tagsüber einfach nicht hört, wenn ihre Stimmen im Verkehrslärm untergehen. Die Hitze des Tages liegt immer noch in der Luft, zeichnet sich als feuchter Dunst in der Dunkelheit ab. Tau lässt sich in blanken kleinen Perlen auf Grashalmen und Blättern nieder.
    Ein Obdachloser kommt den Weg entlang, mit seinen Habseligkeiten in einem Einkaufswagen. Wilhelm beobachtet ihn von dort, wo er steht, verborgen in der Dunkelheit. Der Obdachlose nähert sich. Die Räder des Wagens quietschen, er eiert den Weg hinunter auf ihn zu. Wilhelm zieht sich langsam zurück, tief in die Schatten hinein. Der schwarze Mann kommt immer näher, zerrt an dem Wagen, der auf die Grabenkante zusteuert, dann bleibt er plötzlich stehen. Der Penner starrt ihn direkt an, begegnet seinem Blick, zeigt aber keinerlei Reaktion. Die schwarzen Augen glotzen ins Leere, auf einen Punkt, der hinter Wilhelm zu liegen scheint, direkt durch ihn hindurch. Als wäre er ein Teil der Vegetation oder als hätte die Dunkelheit ihn bereits absorbiert. Der

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