Der Waldläufer
daß Don Antonio de Mediana ausnahmsweise eine solche Gesinnung hatte. Obgleich das bleiche Antlitz Don Antonios zwei entgegengesetzte Gefühle – einen dumpfen Zorn und eine offenbare Verachtung – ausdrückte, so wurde doch die Gräfin nicht dadurch enttäuscht. Sie erblickte in ihm immer noch den Mann, der sie geliebt hatte und noch liebte.
»Keine Bewegung«, sagte Don Antonio; »kein Laut, um Hilfe zu rufen, wenn Ihr dies Kind liebt!« Er zeigte mit dem Finger auf Fabians Wiege.
Diese Gebärde trug so sehr den Ausdruck von Macht und Autorität, daß die bestürzte Gräfin mit verstörtem Blick und vorgebeugtem Körper stumm und unbeweglich blieb und zitternd ihren sonderbaren Besuch betrachtete. Sie hatte begriffen, daß die Vergangenheit in den Augen dieses Mannes nichts mehr war. Dona Luisa fühlte, daß sie selbst verloren, aber auch, daß ihr Kind in Gefahr sei. Sie rief also all ihre mütterliche Zärtlichkeit, die Energie ihres Willens und ihres Stolzes zu Hilfe, um dem Finger zu folgen, der auf die Wiege ihres Sohnes zeigte, als ob das Leben dieses Kindes nicht hundertmal kostbarer gewesen wäre als ihr eigenes.
Gewiß bedurfte es einer unerhörten, mutvollen Anstrengung, um so weit zu kommen; denn das Gesicht Don Antonios hatte plötzlich den Ausdruck gewechselt. Seine Lippen, die ein nervöses Zucken, das sein Wille nicht zu unterdrücken vermochte, in ein krampfhaftes Zittern versetzte, ließen zuweilen seine fest zusammengebissenen Zähne bloß; seine funkelnden, auf die Gräfin gehefteten Augen ließen einen tödlichen Schauer über ihre Glieder laufen. Sie hatte klar darin gelesen, daß sie kein Mitleid, keine Schonung zu erwarten hätte. Dennoch schüttelte sie endlich ihren Schrecken von sich ab und rief wieder mit fester Stimme: »Wer seid Ihr, der Ihr heimlich hier hereinkommt wie ein Dieb in der Nacht? Soll ein Sohn so in die Wohnung seiner Väter zurückkehren? Ist Don Antonio de Mediana nichts weiter als ein Verbrecher, der das Licht scheut?«
»Geduld!« antwortete Don Antonio spöttisch. »Die Zeit wird kommen – und sie ist nicht fern –, wo ich in dieses Schloß einziehen werde, wie es sich geziemt: am hellen Tag, durch die geöffneten Gitter, mitten unter dem Zuruf, mit dem meine Rückkehr gefeiert werden wird. Aber heute abend paßt es für meine Pläne, nur – wir Ihr sagtet – ein Dieb in der Nacht zu sein.«
»Was wollt Ihr denn?« rief die Gräfin ängstlich.
»Wie? Begreift Ihr denn nicht«, erwiderte Don Antonio mit derselben Ruhe, die trotz des Zuckens seiner Muskeln von einem schrecklichen Entschluß zeugte, »daß ich herkomme, um mich zum Grafen von Mediana zu machen?«
Hiermit gewann die Frage in den Augen der Gräfin plötzlich eine schreckliche Bedeutung. Hier war von keinem betrogenen Liebhaber mehr die Rede, den sie beschwichtigen mußte, wie sie es einen Augenblick geglaubt hatte – sie mußte ihren Sohn retten!
24 Die Weissagung
Bei diesen Worten, die die Gräfin über die Absichten Don Antonios nicht mehr zweifeln ließen, war ihre erste Bewegung, sich auf die Wiege ihres Sohnes zu stürzen, um mit ihrem Leib einen Wall für ihn zu bilden. Aber Don Antonio kam ihr zuvor, nahm seine Stellung zwischen ihr und der Wiege und richtete einen kalten und teilnahmslosen Blick auf sie, den er seit dem Anfang dieser Zusammenkunft angenommen hatte. Sein Gemüt mußte tief erbittert, sein Herz sehr abgestumpft sein, daß sein entsetzlicher Entschluß der Gräfin gegenüber nicht wankend wurde. Ihre Nasenflügel hatten sich erweitert, der Busen wogte, ihre langen Haarflechten hingen auf die Schultern herab; die Angst malte sich in ihren Zügen, und sie richtete ihre Augen bald mit bittendem, bald mit erschrecktem Ausdruck auf ihn; sie war bezaubernd in der ganzen wilden Schönheit, die ihr stolzes Antlitz versprach, während die mütterliche Sorge ihren Blicken einen unsagbaren Zauber verlieh. »Gnade für ihn!« sagte sie endlich, als sie wieder Worte fand. »Ihr könnt mich töten; aber er, er, was hat er Euch getan, Don Antonio?«
»Was er mir getan hat?« erwiderte Don Antonio. »Ist er es nicht, der jetzt Graf von Mediana ist? Ist er nicht der gesetzliche Besitzer eines Titels und eines Vermögens, die ich nach dem Eid, den sein Vater unserer sterbenden Mutter geschworen hatte, erhalten sollte? Ist er nicht der Sohn derjenigen, die mir versprochen hatte, nur mich zu lieben, und die doch nicht eher Ruhe gehabt hat, als bis sie, mit Verletzung ihrer Eidschwüre,
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