Der Waldläufer
nur ein einziges Jahrhundert alt wäre. Glaubt Ihr noch nicht, daß eine Staatsform, die zwölf Jahrhunderte überdauern kann, allein die Keime für die Lebensfähigkeit und die Macht der Nation enthält?«
»Der eifersüchtige Geist der Könige hat immer die Republiken erstickt«, erwiderte der Mexikaner. »Das Problem der Monarchie hat nur allein gelöst werden können; die Erfahrung wird es für immer der Verurteilung preisgeben; das Problem der Republiken ist aber noch zu lösen. Und was steht nicht zu erwarten von der Vervollkommnung einer Staatsform, von der die älteste noch kein Jahrhundert zählt, deren Erfolge aber den Stempel der Größe in solchem Maße an sich tragen?«
In einem Streit über Prinzipien, über die der Spanier lange Zeit reiflich nachgedacht hatte, mußte dieser dem Mexikaner weit überlegen sein, der plötzlich auf ein Terrain geführt war, das er vorher nicht hatte sondieren können. Der Herzog von Armada machte übrigens die Umwandlung des neuen Staates in eine Monarchie zur Bedingung, wenn er diesen Staat mit seinen Reichtümern, seiner Erfahrung und mit den Hilfsmitteln, die er von Europa erwartete, unterstützen sollte. Diaz wünschte vor allem die Selbständigkeit seines Vaterlands; er hörte darum auf, Einwürfe zu machen.
Nun nahm der Spanier die Übelstände einen nach dem anderen wieder auf, über die der Abenteurer sich mit so großer Bitterkeit beklagt hatte. Er wußte seinen Zuhörer so sehr für den Erfolg der Sache, die er als die Sache seines Landes hinstellte, zu interessieren; er enthüllte ihm so geschickt seine Sendung, seinen Namen, seine Titel; er entwickelte die Überlegenheit des monarchischen Prinzips im Vergleich zu Mexiko mit einer solchen Kraft und Autorität der Rede, daß er die mißtrauischen Zweifel des Republikaners einen nach dem anderen erstickte oder doch zu ersticken schien. Er ließ ebenso, wie er es mit dem Senator gemacht hatte – aber mit mehr Behutsamkeit, da er einen edleren Charakter gewinnen mußte – unter die allgemeinen Gesichtspunkte auch Schlaglichter persönlichen Ehrgeizes fallen, und noch war keine halbe Stunde vergangen, als er auch schon in Diaz` Seele, wenn nicht eine vollständige Überzeugung, doch wenigstens eine gänzliche Zustimmung bewirkt hatte.
Indem er nun von den Prinzipien auf die Personen überging, nannte er den König Don Carlos als denjenigen, dessen Vorläufer der Abenteurer und seine Freunde sein sollten.
»Also ein König – der König Karl I.; gut!« sagte Diaz. »Aber wir werden viele Schwierigkeiten zu überwinden haben.«
»Weniger als Ihr denkt«, antwortete der Spanier. »Jedenfalls wird Gold diese Schwierigkeiten heben, Freund Diaz. Morgen werden wir es mit vollen Händen sammeln; wir bauen dem neuen Königtum eine goldene Brücke, kaufen und bezahlen freigebig die Gründer, die Stützen eines Throns, der nur noch auf einen König zu warten braucht.«
So legte der kühne Parteigänger, wie er es seinem Herrn versprochen hatte, selbst in der Mitte der Steppe den Grund zu einer künftigen Dynastie. Was der aristokratische Einfluß des Senators im Kongreß von Arizpe bewirken konnte und sollte, denselben Eindruck mußte der Einfluß eines zwar untergeordneten, aber durch seine kühnen Taten berühmten Mannes auf Standesgenossen ausüben. Mit dem Gipfelpunkt und der Grundlage hatte der Spanier alles gewonnen. Der hochstehende Señor war von nun an sicher, sein Ziel zu erreichen, und setzte stolz seinen Fuß auf die Hindernisse, die noch dazwischen lagen.
Diaz hatte sich aus dem Zelt Don Estévans, der ihn begleitete, entfernt und wollte den Ort im Lager wieder aufsuchen, wo er schlafen mußte, um sich von einem langen Marsch auszuruhen und sich auf die Anstrengungen des folgenden Tages vorzubereiten. In demselben Augenblick, als Benito und Baraja sich auf den Boden gestreckt hatten, um ebenfalls zu schlafen, überschauten der Spanier und der Mexikaner von der Höhe des Hügels, auf dem sie sich befanden, die ganze, weite Ebene. Die »Nebelberge« erhoben sich in der Ferne, von ihrem geheimnisvollen Schleier ewigen Nebels umhüllt. In diesen dichten Dunstkreis, der soviel Gold in sich barg, schien der Mond lange Silberstrahlen zu werfen.
So nahe dem Ziel seiner Expedition, so nahe den Nebelbergen, daß er sozusagen die Hand von seinem Zelt aus nach ihnen ausstrecken und sie berühren konnte, warf Don Antonio von Mediana einen Blick ruhigen Stolzes auf den Horizont. Alle Schwierigkeiten waren
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