Der Waldläufer
erblicken, die sich näherten und im Schatten der Sandhügel verschwanden. Pedro Diaz befragte Don Estévan mit einem Blick; dann rief er mit einer Stimme, die wie ein Schlachtsignal durch das Lager tönte: »Zündet überall die Feuer an; wir müssen unsere Feinde zählen können!«
Einige Augenblicke nach diesen Worten schien ein rotes Licht, das beinahe ebenso lebhaft war, wie das der Sonne, das ganze Lager in Brand zu setzen; die Abenteurer standen auf ihren Posten, die Büchse in der Hand; die Pferde waren gesattelt und gezäumt und warteten nur, daß ihre Reiter sich auf ihre Rücken warfen, sobald etwa ein Ausfall notwendig wurde. Dann sank das Zelt Don Estévans über seinen Zeltpflöcken, die Oroche herausgezogen hatte, zusammen. Eine feierliche Stille war dem Lärm gefolgt. Die Steppe war in Schweigen gehüllt wie das Lager. Der Mond beleuchtete nicht mehr die Bewegungen der indianischen Streifreiter; sie waren verschwunden wie jene düsteren Träume, die die Rückkehr des Tages verscheucht. Es war die Zeit der Stille, die dem Sturm vorangeht.
Diese Ruhe hatte übrigens etwas Schreckliches. Sie kündigte nicht eine jener Überraschungen an, in der ein an Zahl geringerer Feind seine Schwäche durch die Heftigkeit seines Angriffs verbirgt und immer bereit ist, die Flucht zu ergreifen, wenn er Widerstand findet. Es war die Ruhe vor der Schlacht, in der sich unversöhnliche Feinde einen Augenblick sammelten, um desto sicherer einen tödlichen Kampf zu beginnen.
»Ja, verlaßt Euch nur darauf«, sagte der alte Benito zu Baraja; »eine Viertelstunde später werdet Ihr das Geheul dieser roten Teufel in Euren Ohren wie die Posaunen des Jüngsten Gerichts widerhallen hören. Das sage ich Euch, obgleich ich die Indianer wenig kenne.«
»Laßt doch!« erwiderte Baraja mit bestürzter Miene. »Ihr seid der erfahrenste Mann, was Jaguare und Indianer betrifft, den ich jemals gesehen habe; obgleich Ihr, um die Wahrheit zu sagen, ein wenig tröstlicher sprechen könntet. Wollte Gott, es wäre mir erlaubt, an der Wahrheit Eurer Worte zu zweifeln!« »Es gibt Dinge, die leicht vorauszusehen sind. Man kann dem Reisenden, der sich im ausgetrockneten Bett eines Waldstroms zum Schlafen niederlegt, voraussagen, daß die Fluten bei seinem Erwachen ihn mit sich fortreißen werden oder daß die Indianer, die die Stellung ihrer Feinde kennen und sich einen Augenblick zurückziehen; ihr Krieger zählen, um jene anzugreifen. Man kann mit Gewißheit voraussagen, daß mehr als einer unter ihnen seinen Todesschrei ausstoßen wird – ebenso wie viele von uns ihr letztes ›In manus‹ werden beten müssen –, aber wer dies sein wird, das ist es, was niemand voraussagen kann. Kennt Ihr irgendein Gebet für Sterbende, Señor Baraja?«
»Nein«, sagte der Abenteurer traurig.
»Das tut mir leid, denn das sind solche kleinen Dienste, die Freunde sich gegenseitig leisten; und wenn ich den Schmerz hätte – da es doch vernünftig ist, darauf gefaßt zu sein –, zu sehen, wie Ihr erst skalpiert und dann ermordet werdet ...«
Der alte Vaquero wurde durch ein Geheul, das aus der Ferne erscholl und sich dem Lager näherte, unterbrochen. Ungeachtet des stets Unglück weissagenden Sinnes der Rede des alten Hirten hielt doch sein kaltes Blut auch unter den größten Gefahren seine so kräftig durch einen tröstlichen Fatalismus unterstützte Entschlossenheit den weniger festen Mut Barajas aufrecht. In dem Augenblick, als dieser wider seinen Willen einen Schauder fühlte bei dem Kriegsgeschrei, das man gehört haben muß, um seinen schrecklichen Klang zu würdigen, warf er einen Blick auf Benito, um aus dessen Haltung ein wenig von dem Gleichmut zu schöpfen, der den Greis niemals verließ.
Der Schein des Feuers beleuchtete lebhaft seine eingefallenen Wangen. Zum erstenmal schien eine resignierte Traurigkeit wie eine Wolke auf seiner gebeugten Stirn zu lagern. Seine Augen waren feucht, als ob ihnen eine Träne entquellen wollte. Baraja war bestürzt über die Veränderung. Er legte seine Hand auf den Arm des alten Hirten.
Benito hob sein Haupt. »Ich verstehe Euch«, sagte er; »aber der Mensch hat seine schwachen Augenblicke. Was wollt Ihr? Ich gleiche demjenigen, den der Ton der Trompete in dem Augenblick von seinem Herd reißt, wo er gerade am wenigsten daran denkt, ihn zu verlassen. Mitten unter diesem Geheul höre ich dort oben den Ton der Trompete, die mich ruft, und so alt, wie ich bin, tut es mir doch einigermaßen leid, meinen Herd
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