Der Waldläufer
er melancholisch fort. »Habe ich nicht schon, so jung ich auch noch bin, den bitteren Kelch bis auf den Grund geleert? Genug; eure edelmütigen Ausflüchte sollen mich nicht mehr zum Schweigen bringen.«
Bei diesen Worten reichte Fabian den Jägern die Hände, die den Druck liebreich und fest erwiderten.
Der Kanadier betrachtete einige Minuten schweigend und gerührt das edle Antlitz dessen, den er mit Stolz seinen Sohn nannte; dann aber machte der augenblickliche, gezwungene Ausdruck seiner Züge den wahren Gefühlen seines Herzens Platz, und er sagte: »Fabian, mein Kind, mein ganzes Leben ist entweder auf dem Meer oder mitten in den Einöden verflossen, aber ich erinnere mich noch genug der Städte und ihrer Sitten, um zu wissen, daß unter den Menschen die Gerechtigkeit sich eher erkaufen als erobern läßt. Dieses Gold, mein Kind, das in diesen Bergen verborgen liegt, dieses Gold wollen wir anwenden, um das aus dir zu machen, wozu die Vorsehung dich bestimmt hatte: dieses Gold wird die Hindernisse ebnen, an denen sich ohne Zweifel dein gutes Recht brechen würde. Pepe wird mich nicht Lügen strafen, wenn ich dir sage, daß wir unser Leben daransetzen wollen, um dir die Güter deiner Vorfahren und den berühmten Namen, den zu tragen du so würdig bist, wieder zu verschaffen.«
»Ja«, sagte der Grenzjäger, »ich habe es Euch schon gesagt, der erste Teil meines Lebens ist nicht so gewesen, wie ich es wohl gewünscht hätte – das ist freilich auch ein wenig die Schuld der spanischen Regierung, die mich nicht bezahlte –, nichtsdestoweniger liegt doch eine schreckliche Last auf meinem Herzen. Oft habe ich traurig an meine Vergangenheit zurückgedacht; aber Gott verzeiht immer dem Schuldigen, weil er mit der einen Hand das Verbrechen wägt, während die andere die Sühnung darbietet. Der Tag der Sühnung ist da, die Verzeihung ist nahe, und es ist nur gerecht, wenn ich Euch mit Gefahr meines Lebens wiedergebe, was mit durch meine Schuld Euch geraubt ist.«
»Vorwärts also!« sagte der Kanadier. »Gott hat jedem von uns seinen Weg vorgezeichnet und wird – wie du sagtest, Fabian – das übrige tun. Wenn du hierbleiben willst, so werden wir ohne dich gehen.«
Mit diesen Worten erhob sich der Kanadier, warf seine Büchse über die Schulter und forderte mit einer Gebärde der Autorität seine Gefährten auf, ihm zu folgen. Fabian war gezwungen, dem unwiderruflichen Entschluß seiner Freunde zu gehorchen. Alle drei gingen entschlossen auf die Nebelberge los und verschwanden bald auf dem rauhen, zerrissenen Terrain. Die Morgendämmerung war dem Tag noch nicht gewichen, als der kanadische Jäger und seine beiden Begleiter die Stelle, wo sie gesessen waren, verließen.
Ein neuer Teilnehmer näherte sich seinerseits dem Schauplatz der Szenen, die das Licht des Tages beleuchten sollte. Wie der Satan, wie der Dämon der Finsternis kam er allein. Sein Pferd warf im ungestümen Lauf mit den Hufen den Sand und den Kies der dürren Ebene empor, die es zu verschlingen schien. Der Reiter, dessen unheimliches Gesicht von habgierigen Leidenschaften glühte – und in diesem Reiter hat man Cuchillo wohl schon wiedererkannt –, schien indes selbst zuweilen von geheimen Schrecken beunruhigt zu werden.
In der Tat konnte seine Flucht aus dem Lager – selbst im Lärm des Kampfes – von irgend jemand unter denen bemerkt worden sein, die er im Augenblick der Gefahr verließ; streifende Indianer konnten sein Entfliehen gesehen haben, und das waren die Ursachen zu seiner Besorgnis. Doch war Cuchillo nicht der Mann, einen so kühnen Streich zu versuchen, ohne ebenfalls die günstigen Aussichten abgewogen zu haben. Er hatte es wie der Jäger gemacht, der die Jungen des Löwen oder des Jaguars in der Höhle fangen will und dem Alten eine Beute vorwirft, um seine Aufmerksamkeit abzuziehen und ihn zu entfernen. Die Leute, die er den Herren dieser Steppe vorgeworfen hatte, waren seine Gefährten. Seine vorhergehenden Streifereien hatten, wie schon gesagt, nur zum Zweck gehabt, einer Indianerabteilung, deren Spur er bemerkt hatte, den Weg zum Lager Don Estévans zu zeigen. Er spielte freilich ein gefährliches Spiel, und man hat gesehen, wie er kaum das Expeditionskorps wiedererreichen konnte und nur einige Augenblicke vor den ihn wütend verfolgenden Apachenkriegern anlangte.
Er hatte gedacht, daß der Kampf sich bis in einen Teil der Nacht hinein verlängern würde; daß die Abenteurer – mochten sie nun Sieger oder Besiegte sein
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