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Der Waldläufer

Titel: Der Waldläufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel Ferry
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auch noch ein anderer Reiter, den sie ebenfalls nicht sehen konnten, den Weg zu dem mexikanischen Lager ein, indem er einem Arm des Flusses folgte: es war Baraja. Dieser hatte endlich, das Herz noch voll von den abscheulichen Leidenschaften, die ihn seinen Gefährten hatten opfern lassen, und mehr als je vom Golddurst gequält, den Entschluß gefaßt, seine Beute zu teilen, und sprengte zum Lager, um Verstärkung zu holen, weit entfernt, zu vermuten, daß er dort nur Feuer und Schwert – das Ende der Expedition – vorfinden würde.
    Die Sonne stieg immer höher und warf ihre Strahlen in dem Tal nur noch auf Cuchillo, der sich gierig über seine Goldernte bückte, und die drei Jäger, die miteinander über sein Schicksal berieten. Fabian hatte schweigend die Ansicht angehört, die Bois-Rosé und der eben marschfertige Diaz ausgesprochen hatten; er wartete noch auf die des früheren Grenzjägers.
    »Ihr habt ein Gelübde getan«, begann dieser, »von dem Euch nichts entbinden kann. Arellanos' Frau hat Euch dieses Gelübde auf ihrem Totenbett abgenommen; der Mörder ihres Mannes ist in Eurer Gewalt; Ihr dürft nicht ausweichen!« Als er darauf eine angstvolle Unentschiedenheit auf Fabians Antlitz bemerkte, fügte er mit dem beißenden Spott, der den Grundzug seines Charakters ausmachte, hinzu: »Wenn Euch jedoch diese Rolle so sehr zuwider ist, so will ich sie übernehmen; denn da ich gegen Cuchillo nicht den geringsten Groll habe, so kann ich ihn ohne irgendwelche Gewissensskrupel henken; Ihr werdet sehen, Don Fabian, daß der Schelm nicht über das bestürzt sein wird, was ich ihm sagen werde. Leute, die ein solches Gesicht haben wie Cuchillo, müssen von einem Augenblick zum anderen darauf gefaßt sein, gehenkt zu werden.«
    Mit dieser scharfsinnigen Bemerkung näherte sich Pepe der grünen Hecke, die sie von Cuchillo trennte.
    Dieser hatte sich um nichts gekümmert, was um ihn her vorgegangen war; er war bezaubert und geblendet von dem goldigen Schein, der unter den Strahlen der Sonne von der Oberfläche des Tals ausströmte; er hatte nichts gesehen, nichts gehört. Seine gekrümmten Finger wühlten im Sand mit der Gier eines verhungerten Schakals, der einen Leichnam ausgräbt.
    »Señor Cuchillo! Ein Wort, wenn's gefällig ist«, sagte Pepe, indem er die Zweige der Baumwollstauden halb zurückbog, »Señor Cuchillo!«
    Aber Cuchillo hörte nicht. Erst beim dritten Anruf wandte er den Kopf, nachdem er mit einer unwillkürlichen Bewegung des Mißtrauens einen Zipfel seines Mantels über das Gold, das er eingesammelt hatte, geworfen hatte.
    »Señor Cuchillo«, fuhr Pepe fort, »ich habe Euch soeben einen philosophischen Satz aussprechen hören, der mir eine hohe Idee von Eurem Charakter gibt.« Sieh da, dachte Cuchillo, indem er seine schweißtriefende Stirn trocknete, da ist noch jemand, der meiner bedarf. Diese Menschen werden unbescheiden; aber, bei Gott, sie bezahlen freigebig! Dann sagte er laut: »Einen philosophischen Satz?« und warf dabei verächtlich eine Handvoll Sand hin, die an jedem anderen Ort die Freude eines Goldsuchers erregt hätte. »Welchen? Ich sage oft dergleichen und immer die besten; die Philosophie ist meine starke Seite!«
    Pepe, auf der einen Seite der Hecke, stützte sich in einer Stellung stolzer Nachlässigkeit mit der unerschütterlichsten Kaltblütigkeit auf seine Büchse; er und Cuchillo, dessen Kopf auf der anderen Seite die grüne Einfassung des kleinen Tals überragte, sahen aus wie zwei Nachbarn auf dem Land, die sich über den Wechsel der Witterung unterhalten. Niemand, der sie beide so gesehen hätte, würde den schrecklichen Schluß dieser friedlichen Unterhaltung geahnt haben.
    Der frühere Grenzjäger ließ auf seinem Gesicht ein anmutiges Lächeln sehen. »Ich sagte es wohl«, antwortete er. »Woran hängt doch‹, habt Ihr gesagt, ›das Schicksal der Menschen! Vor zwanzig Jahren war mein Leben nur von der Abwesenheit eines Baumes abhängig.«
    »Das ist wahr«, erwiderte Cuchillo zerstreut, »ich habe lange Zeit eine Vorliebe für die Gesträuche gehabt, mich seitdem jedoch mit den größten Bäumen wieder ausgesöhnt. Und dann habe ich auch noch einen Lieblingsgrundsatz: nämlich, daß der weise Mann sich über sehr viele kleine Unannehmlichkeiten hinwegsetzen muß.«
    »Dabei fällt mir ein«, fügte Pepe nachlässig hinzu, »daß es oben auf diesem abschüssigen Hügel zwei herrliche Tannen gibt, die sich über den Abgrund neigen und die Euch vor etwa zwanzig Jahren

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