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Der Waldläufer

Titel: Der Waldläufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel Ferry
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benachrichtigte, und ich erhielt zweihundert Piaster, damit sein Neffe niemals von ihm erben sollte. Ich beging den Fehler ... den Neffen abzufertigen, ohne ihn – wie ich es vielleicht hätte tun sollen – davon zu benachrichtigen. Da fühlte ich denn, wie unbequem ein unzufriedenes Gewissen ist, wie ich es besitze; ich ergriff also das einzige Mittel, das mir noch blieb, mich mit ihm abzufinden. Das Geld des Neffen war ein Gewissensbiß für mich; ich faßte den Entschluß, mich dessen zu entledigen.«
    »Des Geldes? Nicht doch! – Und Ihr schicktet nun auch den Onkel dem Neffen nach?« fragte Pepe.
    Cuchillo verbeugte sich. »Mein Gewissen hatte mir seitdem auch nicht den kleinsten Vorwurf zu machen. Ich hatte dreihundert Piaster mit der feinsten Ehrenhaftigkeit gewonnen.«
    Cuchillo lächelte noch, als Fabian sagte: »Hatte man Euch denn auch für Marcos Arellanos' Ermordung bezahlt?«
    Bei dieser Anklage, die wie ein Blitzstrahl auf ihn niederfuhr, entstellte die Blässe des Todes Cuchillos Züge. Er konnte sich nicht länger das Schicksal verhehlen, das ihn erwartete. Die Binde, die seine Augen verhüllte, fiel plötzlich herab, und den Träumen, denen er sich hingegeben hatte, folgte plötzlich eine schreckliche Wirklichkeit. »Marcos Arellanos?« stammelte er mit erloschener Stimme. »Wer hat Euch das gesagt? Ich habe ihn nicht getötet!«
    Fabian lächelte bitter. »Wer sagt dem Hirten«, rief er aus, »wo die Höhle des Jaguars ist, der seine Herden zerreißt? Wer sagt dem Vaquero, wohin das Pferd geflüchtet ist, das er verfolgt? Wer zeigt dem Indianer den Feind, den er sucht? Wer dem Goldsucher das Gold, das Gott verbirgt? Nur die Oberfläche des Sees läßt nicht die Spur des Vogels, der über seine Gewässer hinfliegt, nicht die Spur der Wolke zurück, die sich darin spiegelt. Aber die Erde, das Gras, das Moos – alles läßt für unsere Augen, für uns Söhne der Steppe, die Spur des Jaguars, des Pferdes, des Indianers zurück. Wißt Ihr das nicht ebensogut wie ich?«
    »Ich habe Arellanos nicht getötet«, wiederholte der Mörder.
    »Ihr habt ihn getötet! Ihr habt ihn an dem gemeinschaftlichen Feuer ermordet; Ihr habt seinen Körper in den Fluß geworfen! Die Erde hat mir alles gesagt: von dem Straucheln des Pferdes, das Ihr rittet, bis zu der Wunde am Fuß, die Ihr im Kampf empfangen habt.« »Gnade, Don Tiburcio!« rief Cuchillo, der von der plötzlichen Enthüllung dieser Tatsachen, von denen Gott allein Zeuge gewesen war, sich ganz zu Boden geschmettert fühlte. »Nehmt alles Gold, das Ihr mir gegeben habt, aber laßt mir das Leben; und um Euch dafür zu danken, will ich alle Eure Feinde töten, ich will überall und immer auf einen Wink von Euch ... umsonst ... meinen Vater sogar töten, wenn Ihr es befehlt – aber beim Namen des allmächtigen Gottes, dessen Sonne uns bescheint, laßt mir das Leben, laßt mir das Leben!« wiederholte er, indem er Fabian zu Füßen fiel.
    »Arellanos bat Euch auch um Gnade; habt Ihr ihn gehört?« sagte Fabian, sich abwendend.
    »Aber ich habe ihn getötet, um all dieses Gold allein zu besitzen. Ich gebe dieses Gold heute für mein Leben – was wollt Ihr mehr?« fuhr er fort, indem er Pepe Widerstand leistete, der ihn hindern wollte, Fabians Füße zu küssen.
    Mit schreckentstellten Zügen, den weißen Schaum vor dem Mund, die Augen übermäßig weit, aber ohne Ausdruck geöffnet, flehte Cuchillo noch und suchte bis zu Fabian hinzukriechen. Der Bandit war unter stetem Ringen bis an den Rand der Plattform gekommen. Hinter seinem Haupt stürzte sich der Wasserfall schäumend in die Tiefe.
    »Gnade! Gnade!« wiederholte er. »Gnade im Namen Eurer Mutter, im Namen Doña Rosaritas, die Euch liebt! Ich weiß es, daß sie Euch liebt, ich habe es gehört ...«
    »Was?« rief Fabian aus, indem er nun ebenfalls auf Cuchillo losstürzte.
    Aber die Frage erstarb auf seinen Lippen. Ein Fußstoß des Grenzjägers schleuderte Cuchillo von der Plattform – er stürzte rücklings kopfüber in den Abgrund.
    »Was habt Ihr getan, Pepe?« rief Fabian.
    »Der Schurke«, sagte der frühere Grenzjäger, »war weder einen Strick noch einen Schuß Pulver wert.«
    Ein herzzerreißender Schrei – ein Schrei, der aus dem Abgrund erscholl – übertönte ihre Stimmen und das Rauschen des Wasserfalls. Fabian beugte sich vornüber, wich aber sogleich wie von Entsetzen ergriffen zurück. Er hatte an den Zweigen eines Strauchs, dessen Wurzeln sich nach und nach unter dem Gewicht, das an

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