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Der Waldläufer

Titel: Der Waldläufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel Ferry
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»heißt es darum auch: Wehe über uns?«
    Bois-Rosé hörte auf, unbewußt mit dem Schloß seiner Büchse zu spielen, und warf auf Fabian einen Blick zärtlicher Liebe. Man konnte leicht sehen, daß der junge Mann eine der geheimsten und schmerzlichsten Befürchtungen seines Herzens laut ausgesprochen hatte. »Das habe ich nicht damit sagen wollen«, erwiderte der Kanadier, der sich selbst durch den prophetischen Sinn seiner eigenen Worte traurig getroffen fühlte; »dieses Verbot und diese Drohung finden nicht auf die gewöhnliche Gerechtigkeitspflege der Menschen ihre Anwendung, und wir haben heute den Gerichtshof der Städte vertreten, der die Stelle Gottes selbst vertritt. Es war eine von den traurigen Notwendigkeiten, die uns die Vorsehung auferlegt und denen wir uns nicht entziehen können. Du hast dich dieser unterworfen, wie nur ein edelmütiges Herz es tun kann. Hast du nicht edel genug die Größe dieser Welt von dir gewiesen, die der Mörder deiner Mutter dir anbot? Anders zu handeln, wäre Feigheit gewesen. Ich bin stolz auf dich, mein vielgeliebtes Kind; erblicke darum in meinen Bemerkungen über die Wut der Menschen, sich gegenseitig zu zerstören, nur einen schmerzlichen Gedanken, der mich unwillkürlich überfiel. Die Zeit kommt immer näher, wo ich allein sein werde, und ich habe mich des Gedankens nicht erwehren können, daß ich vielleicht, wenn eines Tages auch an mich die Reihe kommt, keinen Feind finden werde, der meine Leiche den wilden Tieren oder den Entweihungen der Menschen entzieht.«
    Fabian antwortete nicht, und der Jäger fuhr, einen Seufzer erstickend, fort: »Ehe ich dich wiedergefunden hatte, Fabian, wagte ich nicht an die Vergangenheit zu denken; heute wage ich es nicht, in die Zukunft zu blicken.« Er seufzte abermals. »Doch was nützt es, sich mit dem zu beschäftigen, was nicht mehr ist, oder mit dem, was noch nicht ist? ... Was kann ich gegenwärtig mehr wünschen? Bist du nicht bei mir, und habe ich nicht noch einmal das Kind zu beschützen, das der Himmel mich hat wiederfinden lassen? Wohlan denn! Wenn du nicht mehr bei mir sein wirst, werde ich zu mir sagen: ›Wenn Gott, der ihn zweimal zu mir gesandt hat, ihn mir nicht abermals zurückgibt, so ist mir das ein Beweis, daß er reich und glücklich ist und daß keine Gefahr ihn bedroht‹, und dieser Gedanke wird meine Einsamkeit mit Freude füllen.«
    Der Jäger wandte sich ab, um die Bewegung zu verbergen, die sich auf seinem Gesicht ausdrückte und seine Stimme überwältigte; er schien eine Antwort Fabians zu erwarten, aber Fabian blieb stumm.
    »Alles Gold hier gehört dir, mein Kind«, fuhr Bois-Rosé fort; »es ist das Erbe, das dein Adoptivvater dir hinterlassen hat; Pepe und ich werden soviel davon mitnehmen, als unsere Kräfte es nur gestatten. Wir haben schon viel Zeit verloren. – Auf, Pepe, ans Werk!« wandte sich der Kanadier an den Spanier, der, sein Gesicht auf die Hand gestützt, ebenfalls melancholische Blicke auf die Steppe warf, denn die Befriedigung einer Leidenschaft läßt im Herzen immer die Stelle leer, die von ihr eingenommen wurde.
    »Noch nicht«, sagte der durch den zärtlichen Ton Bois-Rosés beruhigte junge Mann sanft. »Wenn ihr es für gut befindet, so wollen wir die Nacht hier zubringen. Ich bin der Ruhe bedürftig; ein schrecklicher Schlag hat meinen Geist erschüttert; ich werde mich in der Stille der Nacht und der Steppe mit mir selbst darüber beraten, worüber ich einen Entschluß fassen muß, und morgen will ich euch diesen mitteilen.«
    »Worüber du einen Entschluß fassen mußt?« fragte Bois-Rosé mit erstaunter Miene.
    »Es ist jetzt zu spät, um sich auf den Weg zu machen«, sagte Fabian, ohne sich weiter zu erklären.
    »Gut. Ich will dir nicht widersprechen; ein Tag mehr mit dir verlebt wird mir immer kostbar sein. Du hörst es, Pepe; mein Rat ist also, unser Lager dort oben auf dem Hügel aufzuschlagen. Diese Höhe wird uns vor einem Überfall Sicherheit gewähren.«
    »Ja«, sagte Fabian; »vielleicht bringt die Nähe des Mannes, der seit einer Stunde neben dem indianischen Häuptling ruht, irgendeine Lehre für mich, die ich benützen werde.«
    Die Sonne neigte sich immer mehr gegen den Horizont hinab, und die drei Freunde erklommen abermals die Höhe. Vom Gipfel aus beherrschte das Auge weithin das Land, und die feierliche Stille versprach eine ruhige Nacht. Einen Schwarm von Geiern ausgenommen, der über dem Pferd Don Estévans schwebte, das wie sein Herr in seinem Grab

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