Der Waldläufer
wahr; aber was auch daraus folgen mag – wehe dem ersten Reh, das sich im Bereich meiner Büchse findet!«
Während der Jäger und Pepe ihre frugale Mahlzeit beendeten, war die Sonne verschwunden; die Sterne gingen einer nach dem anderen auf, und der Nebel fiel dichter und kälter auf dem Gipfel der Nebelberge.
»Wer wird die Wache während des ersten Viertels der Nacht übernehmen?« fragte Pepe.
»Ich werde es sein«, erwiderte Fabian; »Ihr und Bois-Rosé werdet schlafen. Ich werde für euch wachen, denn der Schlaf ist meinen Augen fern.«
Vergeblich bestand der Jäger darauf, daß Fabian als der Jüngste zuerst einige Augenblicke ruhen solle; dieser bestand auf seinem Entschluß. Bois-Rosé streckte sich also an der Seite des Grenzjägers nieder, und alle beide hatten bald die Ereignisse des Tages vergessen.
Fabian war allein wach geblieben; er wickelte sich in seinen Mantel, kauerte sich, das Auge nach Westen gerichtet, nieder, da von da her besonders die Gefahr kommen konnte, und hielt sich ebenso unbeweglich wie diejenigen, die an seiner Seite schliefen.
Mitten in der Stille der Nacht, bei dem Grab, dessen Erde noch frisch war, treu – ohne es zu wissen – dem Wahlspruch seines Hauses: »Ich werde wachen!«, befragte er nacheinander drei Ratgeber, die niemals täuschen: die Einöde, den Tod und Gott. Sein Nachdenken währte lange und war tief, denn der Mond war schon aufgegangen und beschien weithin die Ebene mit seinem bleichen Licht, als er den Ort verließ, wo er so lange unbeweglich sitzen geblieben war, und sich dem Rand der Plattform näherte. Der Mond entlockte den in dem engen Tal verstreut liegenden Goldblöcken bläuliche Blitze. Ein ziemlich umfangreicher Gegenstand zeichnete sich noch unter allen funkelnden Steinen aus, die den Boden bedeckten. Es war der Schatz, den Cuchillo in den Falten seiner Zarapa zusammenzuhäufen begonnen hatte und der jetzt keinen Herrn mehr besaß.
Fabian betrachtete lange diese wunderbaren Reichtümer, an denen soviel Ehrgeiz gescheitert war. Unter den Füßen des jungen Mannes mit den abgenutzten, ärmlichen Kleidern lag hier ein ganzes Leben voll Macht und Luxus, um die Reichsten davor erbleichen zu machen. Mit einem Teil dieser Goldkiesel konnten alle Wünsche befriedigt werden, die im Menschen nur entstehen können, alle Pläne mit Erfolg gekrönt werden, deren Ausführung überhaupt möglich ist.
Das Gold ist fast immer ein ebenso schlechter Ratgeber als der Hunger. Ein schreckliches, schon vergessenes Wort seiner Adoptivmutter auf ihrem Totenbett fing plötzlich wieder an, in Fabians Ohren zu klingen: »Versprich mir, Arellanos zu rächen«, hatte die Sterbende gesagt, »und ich will dir ein Geheimnis mitteilen, das dich so reich machen wird, daß du den Gegenstand deiner tollen Leidenschaft für eine Stunde, einen Tag, einen Monat – wenn es dir beliebt, bis zu dem Augenblick wirst erkaufen können, wo du, ihrer überdrüssig, sie von dir in die Arme eines Mannes wirfst, der zu glücklich ist, sie mit dem Schatz zu nehmen, mit dem du ihren Besitz bezahlt hast.«
Einen Augenblick blieb Fabian, erschüttert über seine verschmähte Liebe, bei diesem abscheulichen Gedanken stehen; ein blendender Schwindel umhüllte seine Augen, dann hörte sein Herz auf, heftig zu klopfen, und bald war es beim Anblick dieser Goldmasse von einem unendlichen Ekel erfüllt; eine bittere Traurigkeit bemächtigte sich seiner, als ob das Leben für ihn nichts Verlockendes mehr gehabt hätte. Er fühlte eine traurige Enttäuschung, ähnlich wie bei den Mächtigen der Erde, denen Gott zu ihrem Unglück die Mittel gegeben hat, die Lichter, die das menschliche Leben wie ein Leuchtturm erhellen – nämlich die Furcht, den Wunsch, die Hoffnung auszulöschen –, und denen nur noch das Unmögliche zu träumen übrigbleibt. Fabian schien plötzlich zu fühlen, daß die kalte Hand des Alters das glühende Herz, das bis jetzt in seiner Brust geschlagen hatte, zu Eis erstarrte.
Und doch bezauberten die bleichen Lichter, die über dem zu seinen Füßen ausgebreiteten Gold tanzten, das Auge des jungen Grafen wie die Irrwische, die nachts in den Abgrund führen. Einen Augenblick belebte sich sein finsteres Auge von neuem, das Blut strömte heftiger in seine Wangen – aber es war nur ein Augenblick. Dann war es ihm, als ob sich die weißen Schattenbilder seiner Jugendtäuschungen, erstickt durch die unheilbare Verzweiflung, die aus der Übersättigung entspringt, in Tränen schwimmend auf
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