Der Waldläufer
jungen Mannes, den diese Berührung nicht aufweckte, empor, legte es auf seinen Schoß und stellte sich zwischen die Strahlen des Mondes und die geschlossenen Augen Fabians. Über ihnen strahlte der Himmel von Sternen.
In den dreißig Jahren seines Matrosen- und Jägerlebens hatte der Kanadier niemals ohne Rührung die sich bewegende Unermeßlichkeit betrachtet, wo jeder Funke eine Welt ist und wo so viele Millionen Welten sich bewegen, ohne aneinanderzustoßen. Eine unbestimmte, melancholische Träumerei bemächtigte sich des alten Mannes, der den Harmonien der Erde, verbunden mit den stummen Harmonien der höheren Regionen, lauschte. Der Wasserfall rauschte dumpf in der Tiefe des Abgrunds, in den seine Gewässer sich stürzten; die Nadeln der Tannen rauschten zuweilen im Wind, und von den Nebelbergen schien ein geheimnisvolles Getöse herabzukommen und in der Ebene ein Echo zu finden.
»Wie sehr«, sagte Bois-Rosé zu sich, indem er dem Strom seiner Gedanken folgte, »wie sehr gleicht doch der Ozean der Steppe! Ich höre von hier, wie das Meer sich bricht, ich höre, wie der Kanonendonner weithin widerhallt. Wie oft hat mich nicht das Krachen der Masten an das Rauschen dieser großen Bäume erinnert! Wie oft habe ich nicht geträumt, wenn ich die Bäume vom Wind erschüttert sah, daß ich das Stöhnen der Masten des ›Albatros‹ hörte! Der Ozean, die Steppe und Fabian – das sind die drei Gegenstände der Liebe in meinem Leben. Die Steppe allein hat mich das Meer vergessen lassen. Wer wird mir die Steppe ersetzen? Fabian ohne Zweifel. Wohlan, ich will es versuchen«, fuhr der Jäger seufzend fort. »Auch ist der Mensch nicht geschaffen, sein ganzes Leben in den Wäldern, fern von seinesgleichen, zuzubringen. Ja, ich will auf mein umherschweifendes Leben verzichten, und Fabian wird dieses Opfer mit Dank vergelten.«
Nun ließ der Jäger seinen Geist sich nach einer längst vergessenen Welt verirren. Plötzlich durchzuckte ein schmerzlicher Argwohn sein Herz.
»Damit aber Fabian mir für ein Opfer Dank weiß, das ohne Zweifel mein Leben verkürzen wird, wäre es nötig, daß er es von mir verlangte. Zweimal habe ich auf unsere bevorstehende Trennung angespielt, und zweimal hat sein Schweigen mir das Herz gebrochen. O Gott, welche letzte Prüfung sparst du mir noch auf?«
Dann erhob der Jäger wie alle diejenigen, die die Zukunft zu ergründen suchen, seine feuchten Augen zum Firmament, wo das natürliche Gefühl den Menschen immer die Beschlüsse Gottes hat suchen lassen. Der »Wagen« neigte sich nach Norden und war im Begriff, hinter den Hügeln zu verschwinden, und wie eine traurige Vorbedeutung erstarben fallende Sterne – ähnlich der Hoffnung, die einen Augenblick glänzt und dann erlischt –, indem sie den Himmel mit feurigen Linien durchfurchten.
Fabians Haupt ruhte immer noch auf dem Schoß des Kanadiers.
48 Vom Becher zu den Lippen
Indessen erhob sich ein unbestimmtes Geräusch an der Einfassung des Val d`Or und vom Fuß der Pyramide her. Der Jäger legte das Haupt des jungen Mannes sanft auf die Erde und näherte sich, die Büchse in der Hand, kriechend dem Rand der Plattform. Seine Augen bestätigten, was seine Ohren gehört hatten, und er wollte eben seinen Platz wieder einnehmen, als er Fabian aufrecht stehend fand.
»Was gibt es?« fragte der junge Mann.
»Nichts, wenn nicht ein halbes Dutzend Schakale, die, vom Geruch des Blutes herbeigelockt, die Erde unten am See aufwühlen.«
»Ach, es ist wahr«, antwortete Fabian niedergeschlagen; »es ist Blut dort unten.«
Beide setzten sich schweigend, und Fabian zeigte mit dem Finger auf Pepe, der, auf den Boden gestreckt, im besten Schlaf wie auf der weichsten Matratze lag.
»Der arme Junge weiß, daß ich für ihn wache, und darum schläft er ruhig«, sagte der Kanadier. »Er hat außerdem jetzt, da sein Eid gelöst ist und er dir das wiedergegeben hat, zu dessen Beraubung er mitgeholfen hatte, eine Last weniger auf seinem Gewissen. Mach es wie er, mein Kind; du hast noch zwei Stunden, ehe es vier Uhr morgens ist.«
»Ich habe genug geschlafen und mit dir noch, während Pepe dort schläft, wichtige Dinge zu besprechen.«
Das Herz des Kanadiers klopfte bei dieser Erklärung Fabians heftig in seiner breiten Brust. Er wartete ängstlich darauf, daß dieser das Wort ergreifen würde.
»Ich habe viele Nächte wie diese hier beim Schein der Sterne durchwacht«, sagte Fabian. »Erzogen in der Einöde, kenne ich jedes nächtliche Geräusch
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