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Der Waldläufer

Titel: Der Waldläufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel Ferry
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diese bleichen Lichter herabneigten.
    »Nein«, sagte er zu sich selbst; »zu hoffen, wenn man leidet; zu genießen, wenn man gelitten und gearbeitet hat; das Gute zu schätzen in der Vergleichung mit dem Bösen; sich in lockende Träumereien, die sich nicht verwirklichen lassen, zu verirren – das ist das Leben, das Gott dem Menschen vorgezeichnet hat. Vielleicht sind die Reichsten die Söhne, denen er seine Liebe entzogen hat. Weiche von mir«, sagte er, »versuchender Dämon des Reichtums!«
    Und der junge Mann schloß die Augen; dann kehrte er zurück und setzte sich wieder auf seinen Platz. Er hatte seinen Entschluß unwiderruflich gefaßt. Unterdessen hatte Bois-Rosé das erste Bedürfnis nach Schlaf befriedigt und öffnete die Augen, als Fabian noch in seinen Gedanken versunken dasaß. Die Stimme des Jägers entriß ihn diesen.
    »Nichts Neues?« fragte Bois-Rosé.
    »Nichts«, antwortete Fabian; »aber warum unterbrichst du so bald deinen Schlaf?«
    »So bald? Die Sterne haben nicht weniger als vier Stunden für den Weg gebraucht, den sie zurückgelegt haben; es ist wenigstens Mitternacht.«
    »Schon? Ich dachte nicht, daß die Nacht so weit vorgerückt wäre.«
    »Schlafe nun ebenfalls, mein Kind«, sagte Bois-Rosé; »es ist nicht gut, daß die Jugend so lange wie das Alter wacht.«
    »Schlafen?« erwiderte Fabian, indem er den Finger auf den Arm des alten Jägers legte. »Ist es klug zu schlafen, wenn man solchen Lärm um sich herum hört?«
    Klagendes Geheul ertönte aus der Ebene von der Stelle, wo das Pferd Don Estévans durch die Kugel des Kanadiers gestürzt war und sich nicht wieder erhoben hatte. Schwarze Gestalten zeigten sich bei dem diffusen Licht des Mondes in undeutlichen Umrissen.
    »Diese Wölfe klagen um eine Beute, die sie in Gegenwart der Menschen nicht zu zerreißen wagen«, fuhr Fabian fort. »Vielleicht sind wir nicht die einzigen hier, sie abzuschrecken.«
    Ferne Schüsse schienen plötzlich Fabians Befürchtungen zu bestätigen. Der Jäger war ein Mann, der sich angewöhnt hatte, die sichersten Schlüsse aus den geringsten Anzeichen wie aus dem leisesten Geräusch in der Einöde zu ziehen, und brauchte darum nur eine Minute, um zu wissen, was los war. »Die Mexikaner«, sagte er, »sind zum zweitenmal mit den Apachen aneinandergeraten, und zwar sehr weit von hier. Was diese Wölfe betrifft, so schreckt sie unser Anblick allein zurück; schlafe also, mein Kind, und schlafe immer ohne Furcht, wenn ich für dich wache; du mußt den Schlaf benötigen.«
    »Ach«, sagte Fabian, »seit einiger Zeit sind meine Tage Jahre gewesen; heute habe ich wie das Alter das Vorrecht der Schlaflosigkeit. Könnte ich außerdem wohl Ruhe nach dem Tag erwarten, der eben verflossen ist?«
    »Wie schrecklich er auch gewesen sein mag – noch niemals hat der Schlaf gefehlt, wenn man mutig seine Pflicht erfüllt hat«, antwortete Bois-Rosé. »Verlaß dich auf die Erfahrung eines, dessen Urteil in der Einöde gereift ist.«
    »Ich will es versuchen«, erwiderte Fabian. Und mehr, um Bois-Rosé einen Gefallen zu tun, als um ein Bedürfnis, das er nicht fühlte, zu befriedigen, streckte er sich ebenfalls auf die Erde nieder.
    Bald aber wurden unter dem Rückschlag der schrecklichen Erschütterungen des Tages seine gebrochenen Muskeln schlaff, seine Augen schlossen sich wider seinen Willen, und ein tiefer Schlaf – ein Schlaf, wie ihn nur die Jugend kennt – hemmte plötzlich den Strom seiner Gedanken. Wie in der Kindheit Fabians beugte sich der kanadische Riese über sein Gesicht, das vom bleichen Mondlicht beleuchtet wurde.
    »Du Kind mit den blonden Haaren, das ich einst so oft bewacht habe«, sagte er zu sich, indem er sich nach der wohlgefälligen Weise des Alters in die Zeit seiner Jugend zurückversetzte; »du, der du jetzt in deiner Kraft einschlummerst, dessen Gesicht die Sonne gebräunt, dessen Haar die Zeit geschwärzt hat; du, der du mir wie der Anfang und das Ende eines ununterbrochenen Traumes erscheinst, schlafe noch einmal ruhig unter dem Auge des Jägers, der dich reich gemacht hat, wie du einst schliefst unter dem Schutz des Matrosen, der dein Leben gerettet hatte. Der Augenblick kommt heran, wo sich unsere Pfade abermals trennen werden, um sich nie wieder zu treffen; der Weg zu den Städten ist nicht der, der in die Steppe führt; die Eiche und der Palmbaum könnten nicht unter demselben Himmel gedeihen.«
    Während Bois-Rosé diese Worte mit tiefer Schwermut sprach, hob er leise das Haupt des

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