Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Waldläufer

Titel: Der Waldläufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel Ferry
Vom Netzwerk:
daran erblicken. Der Kanadier band ihn an sein Wehrgehänge, wie es ein Pilger mit einer heiligen Reliquie gemacht hätte, und setzte schweigend seinen Marsch fort.
    »Das ist ein gutes Zeichen«, sagte Pepe, der sich seinerseits Mühe gab, die Traurigkeit, die ihn überfiel, von sich abzuschütteln; »wir haben seinen Dolch und seinen Hut gefunden – Gott wird uns auch ihn selbst finden lassen!«
    »Ja«, sagte der Kanadier mit düsterer Miene; »und außerdem, wenn wir ihn nicht wiederfinden ...«
    Bois-Rosé beendete seine angefangene Rede in Gedanken. Der alte Waldläufer dachte ganz im stillen an jene unsichtbare Welt, wo sich diejenigen wiederfinden, deren gegenseitige Liebe noch jenseits des Grabes fortdauern muß, ohne daß sie sich jemals wieder trennen müßten.
    Obgleich die Sonne noch ziemlich weit vom Horizont war, hinter dem sie verschwinden sollte, so erlosch doch allmählich der Tag unter dem über den Bergen dicht angehäuften Nebel, als die drei Wanderer an einen Ort kamen, wo das Wasser eine Art von Strudel bildete, der nach des Kanadiers Versicherung ohne Zweifel dadurch gebildet wurde, daß in der Nähe ein anderer Arm sich mit dem Fluß vereinigte.
    Bois-Rosé hatte nicht ganz unrecht; aber anstatt eines Zusammenflusses waren zwei vorhanden, und der Strom, dem sie bis jetzt gefolgt waren, war nur durch einen zu hohen Wasserstand beim Zusammenfluß der Ströme entstanden und verlängerte sich rückwärts mehrere Meilen weit bis zu dem See, von dem sie aufgebrochen waren.
    Die kleine Truppe machte an dieser Stelle halt. Eine neue Ungewißheit stellte sich ihnen dar. Welche Richtung hatte das Kanu eingeschlagen? War es der Arm des Flusses, der nach Osten, oder war es derjenige, der nach Westen floß? Die drei Männer beratschlagten, ohne einen bestimmten Entschluß fassen zu können. Sie suchten überall eifrig nach einer Spur, die sie auf den rechten Weg bringen könnte. Die graue, düstere Oberfläche der Gewässer und das an den Ufern murmelnde Schilf konnten ihnen auch nicht die unbestimmteste Andeutung geben.
    Dann brach die Nacht unter einer Decke undurchsichtigen Nebels traurig und schwarz herein; selbst der Polarstern glänzte nicht mehr am Himmel, dessen Gewölbe aus Blei zu bestehen schien. Man mußte sich entschließen, die ferneren Nachforschungen bis zum Anbruch des Tages aufzuschieben und hier bis zur Morgenröte zu bleiben, um nicht möglicherweise einen falschen Weg einzuschlagen. Die Müdigkeit war auch ein Hindernis für den Marsch, und der Hunger begann, ohne daß es einer dem anderen gestanden hätte, nicht bloß, sich fühlbar zu machen, sondern auch wahrhaft unerträglich zu werden.
    Alle drei legten sich schweigend ins Gras, aber ihre geschlossenen Augenlider forderten vergeblich den Schlaf heraus.
    In dem ständigen Kampf zwischen der Zerstörung und dem Leben, dessen Schlachtfeld der menschliche Körper ist, gibt es einen schrecklichen Punkt, wo der Schlaf vor dem nagenden Hunger entflieht, wie sich der Hirsch bei der Stimme des Jaguars entsetzt und das Weite sucht. Dann macht das Leben eine letzte, äußerste Anstrengung; der Schlaf gießt endlich über den erschöpften Körper einige stärkende Tropfen aus, und von dieser Zeit an geht die Zerstörung mit raschen Schritten vorwärts, und die hinfällige menschliche Maschine unterliegt bald den Angriffen des inneren Feindes, der an ihr nagt.
    Die drei Wanderer waren nun erst bis zu jener Periode des inneren Kampfes gekommen, wo der Hunger lange den Schlaf verjagt, der der letzte sein soll; denn die Schläfrigkeit, die noch rascher eintritt, ist nichts weiter als der Todeskampf. Erst nachdem sie sich oft auf ihrem Rasenbett hin und her gewälzt hatten, konnten die drei Wanderer die Augen einige Stunden lang schließen; und trotzdem wurde das Schweigen der Nebelberge zu verschiedenen Malen durch ein Angstgeschrei gestört, das die Schläfer im Traum ausstießen.
    Ringsum war noch tiefe Nacht, als sich Bois-Rosé schweigend erhob. Trotz der Angriffe des Hungers fühlte der kanadische Riese, daß seine Kräfte sich noch nicht vermindert hatten, daß aber die Stunden kostbar wären. Er warf einen traurigen Blick auf die düstere, ihn umgebende Landschaft; auf diese öden Berge, deren Zacken keinem belebten Wesen Schutz zu bieten schienen; auf den Fluß mit schwarzen Gewässern, in deren Schoß die Bewohner tief in ihren Zufluchtsorten schliefen. Er überzeugte sich sehr bald, daß der Hunger der einzige Gast dieser Einöden

Weitere Kostenlose Bücher