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Der Wanderchirurg

Der Wanderchirurg

Titel: Der Wanderchirurg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Serno Wolf
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sich vor und flüsterte geheimnisvoll: »Es ist das Galgenmännchen.«
    »Galgenmännchen ...«, wiederholte der Koloss ehrfürchtig. »Ja, auch bekannt unter dem Kräuternamen Alraune. Dieses Galgenmännchen musst du dir besorgen.« Vitus hob mahnend den Finger. »Doch freu dich nicht zu früh, denn das Männchen ist scheu und schwer zu finden. Du musst es unter dem Galgen eines Gehenkten ausgraben, und zwar ein Jahr nach seiner Hinrichtung. Am besten, du setzt dich dazu mit dem Henker von Dosvaldes in Verbindung. Dosvaldes hat doch einen Henker?«
    »Doch, ja.« Nunus Stimme war heiser vor Erregung.
    »Gut, frage ihn, wo er vor einem Jahr jemanden gehenkt hat. Dort grabe. Aber sei vorsichtig: Wenn du die Wurzel verletzt, stößt das Männchen tödliche Schreie aus. Am besten ist, du machst es wie die Kräuterhexen: Die lassen die Wurzel von einem Hund ausscharren.«
    »Bist du ein He... du bist doch ...« Nunus Pupillen begannen sich zu weiten.
    »Nein, ich bin kein Hexer, und auch der Satan ist nicht in mir. Ich weiß einfach nur Bescheid.«
    »Nicht jeder, der ein wenig mehr weiß als andere, ist automatisch ein Hexer«, sagte der Magister.
    »Wenn du das Galgenmännchen besitzt«, fuhr Vitus mit wichtiger Miene fort, »betrachte es genau: Je mehr Kopf und Rumpf einem männlichen Glied ähneln, desto größer ist seine Wirkung!«
    »Ja, Ketzerdokter.« Wie gebannt hing der Koloss an Vitus' Lippen. »Un wie wirkt das Galgenmännchen nu?«
    »Das Galgenmännchen musst du Elvira geben und dafür sorgen, dass sie es isst. Je später am Abend, desto besser. Am größten ist die Wirkkraft, wenn es kurz vor Mitternacht verspeist wird. Dazu sagst du folgenden Reim: Aus dem Totenreich der Erde wieder neu lebendig werde!
    Wecke Minne, wecke Liebe, wecke auf die stärksten Triebe!«
    Nunu murmelte ein paar Mal mühsam die ersten Worte der Formel, doch es war klar, dass er sich die Zeilen nicht merken konnte, »'s is aber verteufelt schwer zu behalten!«
    »Du musst den Vers nicht unbedingt aufsagen«, tröstete ihn Vitus, »allerdings ist die Wirkung dann nicht ganz so stark.«
    »Hm. Un wenn ich nu so'n Männchen überhaupt nich unterm Galgen find?«
    »Du musst es auf jeden Fall versuchen. Wenn es dir nicht gelingt, kannst du immer noch zum Apotheker gehen und dir eine Alraune kaufen. Ich habe das für dich vorbereitet.« Er reichte Nunu ein kleines Blatt Papier, auf dem stand:

    Mandragora officinalis

    »Das gibst du dem Apotheker von Dosvaldes.«
    »Is gut!« Der Riese nahm das Blatt, faltete es sorgfältig zusammen, schob es unter sein speckiges Hemd und entfernte sich ohne ein weiteres Wort. Die Kerkertür ließ er offen.
    »Du bist ein Genie!«, platzte der Magister heraus, als der Koloss gegangen war. »Du hast an die Wirkweise deines Galgenmännchens so viele Bedingungen gestellt, dass Nunu mit Sicherheit nicht alle erfüllen kann. Elvira, dieses Teufelsweib, dürfte kaum von ihm behelligt werden.«
    Vitus lächelte. »Wir werden sehen. Lass uns jetzt zusammen essen. Darauf habe ich mich die ganzen letzten Tage gefreut.« Er schob den Schemel an den Tisch, entzündete eine Kerze und schenkte den großen Holznapf voll Linsensuppe. Dann legte er ein übrig gebliebenes Stück Ziegenkäse und etwas Speck dazu. »Jetzt fehlt uns nur noch Wein.«
    »Wie Recht du hast.« Der Magister schnitt mit einem Skalpell Speckstücke ab und tunkte sie in die Linsensuppe.
    »Aber wir wollen nicht undankbar sein. Die Zukunft sieht rosig aus, zumal Nunu uns kaum noch einmal in der Folterkammer piesacken dürfte. Ohne Inquisitionsgericht kann er das nicht. Man munkelt übrigens, dass Hochwürden Ignacio die Hosen gestrichen voll hatte, als er sich mit Pater Alegrio nach Rom aufmachte. Er soll sich dort persönlich vor Gregor XIII. für seinen verdammenswürdigen Lebenswandel verantworten. Wie man hört, war er, wie so viele andere, Stammgast bei Elvira. Ich bezweifle, dass wir ihn jemals wieder sehen.«
    „Dass Hochwürden Ignacio nach Rom beordert wurde, hat mir Nunu schon erzählt«, sagte Vitus, »aber dass er zu Elvira ging, wusste ich nicht.«
    »Der Lebenswandel dieses hohen kirchlichen Herrn ist wieder einmal Wasser auf meine Mühlen!«, stellte der Magister fest, Während er seinen Löffel von allen Seiten ableckte. »Aber ich will nicht schon wieder dieses leidige Thema strapazieren. Der Abend ist viel zu schön dafür. Wann schauen wir uns denn mal um? Die offene Kerkertür ist wie eine Einladung für mich.«
    »Lass uns das

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