Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Wanderchirurg

Der Wanderchirurg

Titel: Der Wanderchirurg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Serno Wolf
Vom Netzwerk:
schloss.
    Als er sie wieder öffnete, sah er, dass der Fluss in einen Teich mündete. Rechts von ihm, nur wenige Körperlängen entfernt, war der Ufersaum von Schilf bedeckt. Es war fast mannshoch, dicht gewachsen und von fahlgelber Farbe. Plötzlich teilten sich die Halme, und ein Kopf mit sehr hoher Stirn wurde sichtbar. Der Magister!
    Der kleine Mann winkte heftig. Vitus winkte zurück und legte den Finger an die Lippen. Hoffentlich geht das Temperament nicht mit ihm durch!, dachte er besorgt. Wenn man uns jetzt entdeckt, war alles umsonst!
    Doch der kleine Mann schien seine Gedanken zu lesen, denn er sagte kein Wort. Mühsam bewegte Vitus sich zu ihm hinüber.
    »Endlich frei!« Der Magister grinste, während er die Halme auseinander hielt, damit Vitus besser in den Schilfwald schlüpfen konnte.
    »Pssst!« Abermals legte Vitus den Finger an die Lippen.
    »Keine Sorge, hier hört uns niemand, das Schilf schluckt den Schall wie ein Federbett!« Der Vergleich schien dem Magister zu gefallen. Er grinste breiter.
    »Bist du unverletzt?«, flüsterte Vitus.
    »Ja, alles bestens. Wenn ich gewusst hätte, dass es so einfach ist, wäre ich sogar freiwillig durch die Jungfrau gesprungen.«
    »Gott sei Dank! Sprich trotzdem leiser.«
    »Wenn es dich beruhigt! Übrigens: Ich habe mich kurz umgesehen, bevor ich mich versteckte. Der Teich scheint eine Art Tränke für Haustiere zu sein. Die Viecher kommen allein hierher, trinken und verschwinden wieder in ihre Ställe. Ich habe Schafe und Ziegen gesehen, sogar ein paar Hühner. Sehr praktisch, das Ganze.« Er blinzelte.
    »Du kannst sicher sein, dass keine Menschenseele sich hier blicken lässt.«
    »Wir sollten trotzdem vorsichtig sein.« Vitus war noch immer misstrauisch.
    »Dem Sonnenstand nach zu urteilen hat der Fluss uns nach Norden in Richtung Stadtrand getrieben«, schnitt der Magister ein anderes Thema an. »Ich schlage vor, wir gehen ans Ufer und machen uns aus dem Staub.«
    »Kommt nicht in Frage.« Vitus wehrte eine Libelle ab, die ihn hartnäckig umkreiste. »Was meinst du, was in der Stadt los ist, wenn man im Gefängnis unsere Flucht bemerkt! Ein Wespennest ist nichts dagegen.« Die Libelle stand jetzt wie angeklebt in der Luft, nur eine Handbreit von Vitus' Nase entfernt. »Wir müssen bis zum Abend warten. Dann dürfte sich die erste Aufregung gelegt haben.«
    »Auch gut. Dann vermuten sie uns überall, nur nicht mehr hier.«
    »Im Schutz der Dunkelheit können wir unbemerkt fliehen«, überlegte Vitus weiter. »Wir sollten abseits der Landstraßen gehen. Je weniger Leute uns sehen, desto besser. Erst einmal muss Gras über die Sache wachsen.«
    »Stimmt. Komm, wir gehen ans Ufer, dort können wir uns setzen, und es wartet sich netter.«
    Gemeinsam schoben sie sich vor, immer darauf achtend, dass die Halme über ihnen sich nicht bewegten. Als das Wasser so flach war, dass es ihnen nur noch bis zu den Knien ging, machten sie Halt. Sie setzten sich Rücken an Rücken, um sich gegenseitig zu stützen. Schon wenige Minuten später spürte Vitus, wie der Körper des Magisters hinter ihm erschlaffte.
    »Süß ist der Schlaf der Freiheit«, murmelte der kleine Mann, und seine regelmäßigen Atemzüge verrieten, dass er im Land der Träume angekommen war.

    Vitus erwachte von einem unerträglichen Juckreiz. Er fuhr sich mit der Hand ins Gesicht und fühlte zahllose Mückenstiche. Wangen, Stirn und Nase waren eine einzige Schwellung. Sogar in den Ohrmuscheln hatten die Blutsauger sich gütlich getan. Nur nicht kratzen!, fuhr es ihm in den Sinn. Er klopfte mit der flachen Hand auf die Schwellungen und fühlte Erleichterung.
    Die Dunkelheit war mittlerweile hereingebrochen. Vitus konnte den Magister hinter sich nur noch schemenhaft wahrnehmen.
    »He, Magister!«, rief er unterdrückt. »Wach auf!« Der kleine Mann machte ein schniefendes Geräusch und kam zu sich. »Ja was ... wo bin ... ja bei allen Heiligen, wer hat mich denn so zerstochen? Teufel, wie das juckt!«
    »Nicht kratzen! Mit der flachen Hand draufklopfen, das hilft.«
    »Wenn du meinst.«
    Beide drehten sich einander wieder zu.
    Während er sein Gesicht mit der Hand bearbeitete, wurden die Augen des Magisters plötzlich übergroß.
    »Das gibt's doch nicht!«, stieß er hervor. »Ich kann zwar nicht viel erkennen, aber was ich sehe, sieht aus wie eine aufgepustete Schweinsblase.«
    »Wenn du mein Gesicht meinst - deins sieht auch nicht besser aus. Die Sumpfmücken haben uns regelrecht überfallen.«

Weitere Kostenlose Bücher