Der Wanderchirurg
essen. Er sei ein stadtbekannter Raufbold, rachsüchtig und cholerisch, und sie seien sicher, dass er dem Doctorus die richtige Antwort auf seine Kurpfuscherei geben würde.«
»Wo ist unser Wunderheiler überhaupt?«, fragte der Magister. »Er sitzt in seinem Wagen, wo er sich verriegelt und verrammelt hat.«
»Was haltet ihr davon, wenn wir uns erst mal zurückziehen, damit wir was Trockenes auf den Leib kriegen?«, sagte der Magister, praktisch denkend.
»Was geschehen ist, ist geschehen.«
»Einverstanden.« Arturo schob den Sattel, den er mittlerweile abgenommen hatte, unter seinen Wagen.
»Das gemeinsame Essen fällt bei dem Regen aus, jeder isst bei sich.« Als Vitus kurz darauf in Tirzahs Wagen trat, fand er die Zigeunerin bei einer Näharbeit vor. Ihre Körperhaltung drückte aus, dass sie über das Geschehene nicht sprechen wollte. Vitus zuckte mit den Schultern und begab sich hinter seine Wolldecke. Er nahm das Werk von Pater Thomas aus der Kiepe und las alles nach, was die großen alten Ärzte wie Herophilos, Erasistratos, Dioskurides, Celsus, Krataeus, Nikandros und Oribasios über Zähne und Zahnfäule zu berichten wussten. Endlich, am späten Nachmittag, klappte er das Buch zu, legte es weg und schloss es ab. Er überlegte kurz, ob er Tirzah jetzt ansprechen solle, unterließ es dann aber. Stattdessen beschloss er, seine Mahlzeit beim Magister einzunehmen. Er stand leise auf und verließ den Wagen. Als er die Tür von außen zudrückte, hörte er, wie Tirzah leise weinte. Der nächste Morgen kam und mit ihm noch mehr Regen. Das trübe Licht vermochte kaum die Dunkelheit der Nacht zu vertreiben. Schwere Schatten lagen noch wie ein Tuch über der Landschaft und färbten auf die Stimmung der Gaukler ab, als sie sich bei der Feuerstelle trafen.
»An ein Essen im Freien ist nicht zu denken«, gähnte der Magister, »zumal wir das Feuer nicht ankriegen dürften.« Die anderen nickten. Fröstelnd schlugen sie sich die Arme um die Schultern.
»Hat jemand schon den Doctorus gesehen?«, fragte einer. Sie spähten zu der Stelle hinüber, an dem der Wagen von Bombastus Sanussus stand, und sahen - nichts. Das große, gepflegte Gefährt war verschwunden.
»Ja, das gibt's doch nicht!«, platzte der Magister heraus.
»Der hochgelehrte Herr ist letzte Nacht stiften gegangen, klammheimlich, still und leise. Hatte wohl die Hosen voll!«
»Er Angst haben vor bösem Ehemann, si«, pflichtete Zerrutti bei. Maja schmiegte sich an ihn, sie wirkte übernächtigt.
»Wir könnten ihn bestimmt noch einholen«, schlugen die Zwillinge vor.
»Nein, das führt zu nichts«, entschied Arturo nach kurzer Überlegung. »Er wird keineswegs bereit sein zurückzukommen. Wir müssten schon Gewalt anwenden, und das will ich nicht. Außerdem«, er deutete auf den Weg, der durch den Regen der vergangenen Nacht noch schlammiger geworden war, »kommen wir jetzt nur noch zu Pferde hier weg. Die Wagen würden stecken bleiben. Wir müssen bleiben, ob wir wollen oder nicht.«
Am Nachmittag, als der Regen für einige Zeit aufhörte, begann Arturo damit, das Podest auseinander zu nehmen, wobei er nicht schlecht über das staunte, was sich darunter an Krimskrams und Fortgeworfenem angesammelt hatte. Das Gerüst bestand aus etwa vier Fuß langen Brettern, die alle gleich stark waren. Der Fechtmeister legte sie Stück für Stück aneinander, bis sie schließlich aussahen wie ein Bootssteg im Gras. Dann rief er nach Vitus.
Vitus kam und stellte neugierig einen Fuß auf den Brettersteg. »Was ist das denn?«
»Unsere neue Übungsfläche, mein Freund«, erklärte Arturo mit großer Geste. »Höchste Zeit, dass ich dir deine zweite Fechtlektion erteile. Fang!« Er warf Vitus den Degen mit der Holzkugel zu und griff selbst zu seinem Dussack. Vitus lachte. »Wenn ich mich recht entsinne, wolltest du mir erklären, was eine Einladung ist, und mit mir Angriff, Parade und Riposte üben.«
»Ganz recht.« Arturo schwang seine Holzwaffe. »Aber zuerst setzen wir die Masken auf und wiederholen, was wir das letzte Mal gemacht haben.« Sie übten noch einmal die Grundstellung und die verschiedenen Schritte und Kombinationen, bis Vitus trotz der kühlen Temperaturen warm geworden war. Arturo, der jede Sprungkombination selbst mitgemacht hatte, ließ es schließlich mit einer letzten Wiederholung des Sturzangriffs bewenden: eines überfallartigen Vorstoßes, der über die halbe Länge des Bretterstegs ging.
»Gut so«, schnaufte der Fechtmeister, »jetzt
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