Der Wanderchirurg
Muralla, und seine Frau ist Dona Eugenia, sie wohnen in der Calle Cordoba.«
Vitus schwang sich mit einiger Anstrengung auf den Braunen. Der Magister kraxelte ebenfalls empor, nachdem er die Kiepe geholt und sie sich auf den Rücken geschnallt hatte. Während Vitus den Braunen vom Podest fortlenkte, bemerkten sie eine korpulente Frau, die schnaufend auf das Gerüst zuwatschelte. »Das ist doch die Dicke mit dem faulen Zahn«, entfuhr es dem Magister.
»Stimmt, was will die denn schon wieder?«
»Doctorus!«, hörten sie die schwere Frau heulen. »Eure Jauchetropfen haben nicht geholfen und das Balsamum auch nicht. Der Schmerz ist wieder da, schlimmer als gestern. Mir ist ganz schwarz vor Augen!«
Bombastus Sanussus drehte sich erschreckt um. Nörgelnde Patienten, zumal, wenn sie ihrer Unzufriedenheit so lautstark Luft machten, verdarben das Geschäft. Er ließ von dem fieberkranken Knaben ab, den er soeben behandelte, und gab ihn in Tirzahs Obhut.
»Gute Frau!«, rief er besänftigend. »Wenn die Jauchetropfen und das Balsamum nicht gewirkt haben, kommt nur noch eine Diagnose in Frage: Ihr habt den Zahnwurm!«
Die Dicke kreischte erschreckt.
»Nur keine Sorge, das haben wir gleich, es gibt da ein probates Mittel: Der Zahn muss gezogen werden - und mit ihm der Wurm. Dies geschieht«, er nahm aus seinem Instrumentenkasten eine schnabelähnlich gebogenene Zange hervor, »mit dem bewährten Pelikan!«
»Komm«, sagte Vitus, »das Ziehen eines Zahns ist nicht immer ein schöner Anblick.«
Fortreitend sahen sie, wie der Doctorus das Instrument in den Mund der Dicken senkte.
»Der Herr sei gepriesen!«, rief Dona Eugenia mit quäkender Stimme. Sie war eine kompakte Frau mit ausgeprägten Flaschenschultern. Ihr Doppelkinn waberte bei jedem Wort:
»Endlich seid Ihr da, Senores!«
»Wir sind so schnell gekommen, wie wir konnten, Dona Eugenia.« Der Magister deutete eine Verbeugung an.
»Ich bin Ramiro Garcia.«
»Seid Ihr der Medikus?«, fragte sie und wies auf die Kiepe.
»Nein, der bin ich: Vitus von Campodios.« Vitus nickte kurz. »Genau genommen bin ich kein Medikus, sondern Cirurgicus und Kräuterkundler.«
Er wollte sich nicht mit Titeln schmücken, die ihm nicht zustanden.
»Schon recht, Ihr seid der Doctorus.«
Vitus unterdrückte die Bemerkung, dass ihm auch der Titel »Doctorus« nicht zukam.
»Wo liegt der Kranke?«
»Folgt mir.« Unter aufgeregtem Geplapper führte Dona Eugenia die beiden Freunde ins abgedunkelte Krankenzimmer, wo ihr überaus dicker Gemahl schwer atmend auf einem mit reichen Schnitzereien verzierten Stuhl saß.
»Der Doctorus mit seinem Assistenten ist da, Liebster«, meldete sie. Der stellvertretende Alcalde winkte schwach.
»Bitte, helft mir, Doctorus, ich ... ich ... bekomme kaum noch Luft.« Er hatte ein rot angelaufenes Gesicht und große Tränensäcke unter den Augen. Die Nase war bläulich verfärbt, auf den Wangen leuchteten viele violette Äderchen. Die Luft im Raum stank nach Schweiß und Urin.
»Ich tue, was ich kann, Don Francisco«, antwortete Vitus beruhigend. Er wandte sich an die Frau des Kranken:
»Zieht bitte die Vorhänge an den Fenstern auf, damit die Miasmen, sofern sich welche im Raum befinden, entweichen können.«
Die korpulente Hausherrin nickte eifrig. »Gerne, sofort, Doctorus! Ich will Euch in allem folgen, was Ihr sagt!« Sie klatschte in die Hände, woraufhin prompt eine Dienstmagd im Türrahmen erschien. »Juanita, öffne die Vorhänge.«
Vitus trat an den Stuhl heran. »Don Francisco, um Euch helfen zu können, muss ich Euch gründlich untersuchen. Dazu ist es unabdingbar, dass Ihr Euch auszieht.«
»Juanita, verlasse sofort das Zimmer!«, rief Dona Eugenia erschreckt.
Nachdem die Magd fort war, zogen die drei Don Francisco mit vereinten Kräften aus.
»Könnt Ihr Euch aufs Bett legen?«, fragte Vitus. Der stellvertretende Alcalde japste wie ein Fisch auf dem Trockenen. »Nein ... dann kriege ich ... gar keine Luft
... Der Druck im Kopf... und in der Brust... oh, diese Schmerzen ...«
»Dann muss es auch so gehen.« Vitus fühlte zuerst den Puls, der hart und unregelmäßig war. Dann schaute er dem Kranken in den Mund und stellte fest, dass die Zunge weißlich belegt war. Schließlich drückte er in das teigige Gewebe des gewaltig angeschwollenen, mit zahllosen Schweißtröpfchen bedeckten Unterleibs. Seine Finger hinterließen tiefe Eindrücke. »Nun, nach allem, was ich sehe, scheint die Diagnose klar zu sein: Ihr leidet an der
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