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Der Wanderchirurg

Der Wanderchirurg

Titel: Der Wanderchirurg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Serno Wolf
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kommen wir zur so genannten Einladung. Doch dazu muss ich weiter ausholen.« Er steckte seinen Dussack in den Gürtel.
    »Der Fechter von heute unterscheidet sich vom Ritter nicht zuletzt dadurch, dass er bei der Abwehr gegnerischer Hiebe auf den Schild verzichtet. Er verlässt sich auf den Degen, der, geschickt geführt, Schutz genug ist. So weit alles klar?«
    »Klar.«
    »Gut. Nun ist es aber so, dass du mit der Waffe nicht deinen ganzen Körper abdecken kannst, irgendeine Trefferfläche bleibt immer offen für den Gegner. Diese Fläche nennen wir Blöße. Natürlich kannst du sie schließen, aber das führt automatisch dazu, dass du an anderer Stelle deine Deckung öffnen musst und sich eine neue Blöße auftut.«
    »Verstehe«, nickte Vitus, »wahrscheinlich gibt es eine ganze Reihe von Blößen.«
    »So ist es, mein kluger Freund. Und wenn du eine solche Blöße dem Gegner ganz bewusst anbietest, damit er dorthin schlägt, dann nennt man das eine Einladung.«
    »Also müsste es auch eine Reihe von Einladungen geben«, folgerte Vitus.
    »Richtig. In der Fechtkunst gibt es insgesamt acht davon, sie hören sich an wie eure Gebetsstunden im Kloster: Prim, Sekond, Terz, Quart, Quint, Sixt, Septim und Oktav. Aber keine Bange, wir üben nur vier davon, nämlich Quart, Quint, Sixt und Oktav, denn sie genügen völlig. Alle vier führt man aus, indem man die Faust dreht und die Klinge entsprechend fuhrt.«
    Er machte jede Einladung sorgfältig vor, und Vitus wiederholte den Bewegungsablauf ein ums andere Mal. Nach einer halben Stunde setzte der Regen wieder ein, und Arturo nahm seine Schutzmaske ab.
    »Schluss für heute, Vitus. Riposte und Paraden heben wir uns fürs nächste Mal auf.« Er stutzte, denn Vitus hatte nicht zugehört, sondern starrte angestrengt in Richtung Rondena.
    »Ist irgendetwas?«
    »Ja, schau mal da.«
    Ein dreckbespritzter Reiter näherte sich zielstrebig dem Lager. Er schien es eilig zu haben, denn trotz des tiefen Matsches versuchte er immer wieder, sein Pferd in den Galopp zu zwingen. Doch der Gaul, ein schönes falbenes Tier mit schwarzer Mähne, war zu erschöpft, um gehorchen zu können.
    Kurz bevor er Vitus und Arturo erreichte, riss der Reiter brutal die Zügel zurück, und das gequälte Tier stieg wiehernd hoch, so abrupt, dass seine Hufe Arturo eine Ladung Dreck ins Gesicht schleuderten.
    »Wo ist der Kurpfuscher?«, herrschte der Fremde Vitus an. Er war ein vierschrötiger Mann mit kurz gestutztem Bart, dessen dunkelblauer Rock vor Schmutz starrte. Er trug lederne Reitstiefel und ein Schwert mit reich verzierter Parierstange. In seinen Augen glitzerte Hass.
    »Buenos dias! Wer seid Ihr, woher kommt Ihr und was wollt Ihr?«, antwortete Vitus kalt.
    »Nicht so keck, Bürschchen!«, schnauzte der Fremde.
    »Sonst schicke ich dich dahin, wo meine Frau schon ist. Ich bin Alizon!«
    »Ihr seid also der Mann jener Frau, die gestern beim Ziehen eines Zahns verstarb«, entgegnete Vitus unbeirrt.
    »Ich versichere Euch, dass dieses Unglück uns alle sehr getroffen hat. Nehmt mein aufrichtiges Beileid entgegen.«
    Auch wenn der Mann ein ungehobelter Klotz war, gebot es die Höflichkeit, ihm die Anteilnahme auszusprechen.
    »Was redest du so geschraubt?« Alizon zog seine Klinge. »Ich will wissen, wo der Kurpfuscher ist, der meine Frau auf dem Gewissen hat! Oder bist du es am Ende selbst?«
    »Nein. Und niemand nennt mich einen Kurpfuscher!«
    Langsam wurde auch Vitus wütend.
    »So bist du es also doch, na warte!« Alizon ließ sich mit beachtlicher Schnelligkeit aus dem Sattel gleiten und kam drohend auf Vitus zu.
    »Halt!« Arturo, der sich den Dreck aus den Augen gewischt hatte, sprang dazwischen. »Eure Wut gilt dem Falschen, Senor. Der Doctorus, nach dem Ihr fragt, hat uns letzte Nacht ohne unser Wissen verlassen. Wohin er mit seinem Gespann gefahren ist, kann ich nicht sagen.«
    Alizons Blick wanderte den völlig verschlammten Weg entlang, in dem kein Wagen mehr vorwärts kam.
    »Ich glaube dir kein Wort! Ich fordere dich zum Zweikampf, hier und jetzt! Tu das Spielzeug weg«, er wies mit der Schwertspitze auf den Dussack, »und lass dir den Degen von dem Kurpfuscher geben. Er ist später dran, wenn ich mit dir fertig bin.«
    »Ich sage es noch einmal, Senor Alizon«, Arturo war bemüht, ruhig zu bleiben, »der Doctorus Bombastus Sanussus, der Eure Gattin gestern behandelt hat, ist über alle Berge. Glaubt mir, ich sage die Wahrheit. Lasst uns im Guten auseinander gehen, denn uns liegt

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