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Der Wanderchirurg

Der Wanderchirurg

Titel: Der Wanderchirurg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Serno Wolf
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Hilfe seiner Zähne einen Knoten hineinknüpfte. Die Manschette wies am Ende zwei Greifbacken auf, die mittels eines Gewindes auf-und zugeschraubt werden konnten. Staunend sah der Wirt zum wiederholten Male, wie der Mann die Greifbacken über den Henkel seines Weinbechers schob, sie zuschraubte und auf diese Weise das Gefäß anheben konnte: »Ich trinke auf Seine Hoheit den Herzog von Alba, unter dem zu kämpfen ich bis anno 1569 die Ehre hatte.«
    Keiner der anderen Gäste tat es ihm nach, was ihn allerdings nicht zu stören schien. Er trank mit tiefen Zügen.
    »Oben in den Habsburgischen Niederlanden war's«, erzählte er unaufgefordert weiter, »wo wir die verfluchten Protestanten das Fürchten lehrten.« Er setzte den Becher vorsichtig ab und wischte sich mit dem Lederstumpf über den Mund. »Hab meine Schwerthand dabei gelassen, im ehrlichen Kampf!« Dass er seine Hand in Holland verloren hatte, stimmte, doch war dies geschehen, als er mit seinen Kameraden eine Mühle aufbrach, um an frisches Mehl heranzukommen. Durch einen unglücklichen Zufall war dabei seine Hand in die laufenden Walzen des Holzgetriebes geraten - seitdem wusste er, was Tantalusqualen sind.
    Und seitdem schlug er sich schlecht und recht durchs Leben. Er war kein übler Kerl, der nichts gegen ehrliche Arbeit hatte, doch er hatte erfahren müssen, dass ein Mann ohne rechte Hand nur die Hälfte wert war. Trotzdem hatte er es geschafft, in Amsterdam eine Handwerksausbildung zu erhalten. Er verdankte dies weniger seinem Geschick als der Tatsache, dass es überall auf der Welt Menschen gibt, die ihr Mäntelchen nach dem Winde hängen, um sich bei den Herrschenden einzuschmeicheln. In seinem Fall war es ein jähzorniger, trinkfreudiger Diamantenschleifer gewesen, der sich mit den spanischen Militärbehörden gut stellen wollte - und ihm deshalb eine Chance gegeben hatte. So war er, fast dreißigjährig, noch einmal in die Lehre gegangen. Der Greifmechanismus seiner Armmanschette hatte sich dabei als sehr nützlich erwiesen. Dennoch hatte Joaquin de Todos, so hieß der Mann, noch nie in seinem Leben einen Diamanten zum Brillanten geschliffen. Das lag daran, dass sein Lehrherr nicht nur opportunistisch war, sondern auch geizig. Joaquin war nur erlaubt worden, an minderwertigem Glas das Schleifen zu üben, und als er eines Tages endlich einen billigen schmutzig gelben Beryll bearbeiten durfte, war das Schicksal ihm nicht hold gewesen: Trotz aller Mühe hatte er den Stein verdorben, was ein ungeheures Geschrei seines Meisters nach sich gezogen hatte - und das strikte Verbot, jemals wieder einen Edelstein anzurühren. Also hatte Joaquin von Stund an nur noch mit Glas arbeiten dürfen. Doch weil er von Natur aus ein Mensch war, der sich nicht unterkriegen ließ, hatte er sich angewöhnt, diesen Werkstoff trotzdem Beryll zu nennen ...
    Nachdem er zwei Jahre lang ausschließlich Vasen und Gefäße bearbeitet hatte, fing er an, auch Linsen zu schleifen. Es waren Glasscheiben, die sich manche älteren Leute vors Auge hielten, um besser sehen zu können. Etwas später hatte er damit begonnen, diese Scheiben unter der Hand zu verkaufen, mit dem Erfolg, dass er zum ersten Mal während seiner Lehrjahre etwas Geld besaß.
    Im Verlaufe weiterer Monate hatte er es zur Perfektion in der Linsenschleifkunst gebracht und unzählige Glasscheiben mit den verschiedensten Krümmungen hergestellt. So war er in der Lage, jede Fehlsichtigkeit ausreichend zu korrigieren - eine Kunst, die jedoch im Verborgenen schlummerte, denn weder sein geiziger Meister noch dessen Zunftbrüder hatten jemals Interesse an seiner Tätigkeit gezeigt. Dann, kurz vor Ende seiner Lehrzeit, war etwas eingetreten, das sein ganzes weiteres Leben veränderte: Den Meister hatte der Schlag getroffen, und genauso unvermittelt war Joaquin auf der Straße gelandet. Als Spanier in feindlicher Provinz, ohne Arbeit und halb verkrüppelt, war ihm nichts anderes übrig geblieben, als seine Schritte zurück in die Heimat zu lenken. Doch bevor er aufbrach, hatte er sich noch, sozusagen als ausgleichende Gerechtigkeit, mit einem guten Sortiment der verschiedensten Linsen eingedeckt. Diese Glasscheiben trug er immer bei sich, ebenso wie einen Apparat, der ihm zum Schleifen und Polieren der Linsen diente: Er bestand aus einem Trittbrett, welches über Räder, Gestänge und Riemen eine Schmirgelscheibe ins Rotieren brachte - alles handlich zusammenlegbar und leicht zu transportieren. Die Vorrichtung diente ihm

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