Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Wanderchirurg

Der Wanderchirurg

Titel: Der Wanderchirurg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Serno Wolf
Vom Netzwerk:
bequem über die Stockenden hängen. Eine gute Gangart, wie er glaubte, denn sie erzwang eine gerade Körperhaltung.
    »Bei allen Heiligen«, rief er laut, »ich werd's schon schaffen! Thaies von Milet, jetzt seid Ihr dran!« Er machte ein paar entschlossene Schritte, schüttelte die Kiepe zurecht und fuhr fort: »Alle Winkel, deren Scheitel auf einem Halbkreis ...«
    »He, du da!« Eine krächzende Stimme ließ ihn herumfahren. Auge in Auge stand er einem riesigen Maultier gegenüber, das vor einen vierrädrigen Karren gespannt war. Der Aufbau des Wagens war so windschief wie eine alte Scheune. Vorn auf einem Brett, das als Kutschbock diente, hielt ein knochiger, grauhaariger Fuhrmann die Zügel. Sein Gesicht wirkte wächsern; die kleinen, wachen Äuglein saßen in dunklen Höhlen, umrahmt von unzähligen Fältchen. Misstrauisch musterte er Vitus von oben bis unten. »Bist du vom Teufel besessen?«
    »Ich?«
    »Ja, du, ich sehe sonst niemanden.«
    »Natürlich nicht. Wie kommt Ihr darauf?«
    »Wie ich darauf komme? Das will ich dir saha ...« Jäh blieb dem Fuhrmann die Luft weg, er griff sich an die Brust, ein Zittern durchlief seinen Körper. Dann begann er qualvoll zu husten, mit keuchenden Lauten, die an das Kläffen eines Hundes erinnerten, wobei sein Körper wie von einer Riesenfaust hin-und hergeschüttelt wurde. Das Maultier spielte nervös mit den Ohren.
    Nachdem der Hustenanfall vorüber war, spuckte der Alte aus und traf zielsicher eine Eidechse, die sich auf einem Stein wärmte. Anschließend nestelte er ein großes Tuch hervor und wischte sich den Mund ab. Den hellroten Blutflecken im Stoff schenkte er dabei keine Beachtung. Anfälle dieser Art schienen ihm nichts Neues zu sein.
    »Ich an Eurer Stelle würde etwas gegen meinen Husten tun«, meinte Vitus.
    »Was du nicht sagst!« Der Fuhrmann blickte eine Spur freundlicher, knüllte das Tuch zusammen und scheuchte damit eine Fliege von der Stirn. Sein Argwohn schien so schnell zu verschwinden wie das davonschwirrende Insekt.
    »Wohin willst du denn so alleine, Söhnchen?«, fragte er.
    »Ich bin auf dem Weg nach Santander, will dort eine Schiffspassage nach England nehmen.« Vitus blieb förmlich, denn die Anrede »Söhnchen« störte ihn.
    »Hm«, machte der Alte, »Santander kenne ich, war als junger Dachs mal da, aber England?« Auf seiner Stirn bildeten sich noch mehr Falten. »Dieses England liegt nicht in Spanien, oder?«
    »Nein, jenseits der Biscaya, es soll eine weite Schiffsreise dorthin sein.«
    »Mein Ältester ist auch zur See gegangen. Hab nie wieder was von ihm gehört. Steig auf, Söhnchen!«
    Energisch schnalzte der Alte mit der Zunge. »Isabella wird nichts dagegen haben, dich ein Stückchen in Richtung England mitzunehmen. Hüaa, altes Mädchen!« Gehorsam trottete das Maultier los.

    Nachdem sie eine Weile unterwegs waren, drehte der Alte beiläufig den Kopf: »Du musst entschuldigen, dass ich am Anfang etwas gallig war«, sagte er, »aber diese Strecke ist gefährlich. Bin zwei, drei Male den Strauchdieben nur um Haaresbreite entwischt.«
    Er streckte seinen nackten Fuß vor und rieb mit der Ferse zärtlich über das ausladende Hinterteil des Maultiers.
    »Wenn meine Isabella nicht jedes Mal so schnell davongelaufen wäre, würd ich jetzt nicht neben dir sitzen.«
    »Ist schon gut.« Vitus war nicht nachtragend.
    »Die Spitzbuben denken sich dauernd was Neues aus. Mal treten sie als Bettler auf und rühren an dein Christenherz: Dir bleibt nichts anderes übrig, als anzuhalten, und schon haben sie dich beim Schlafittchen.«
    Seine Hand fuhr unmissverständlich an die Kehle. »Ein anderes Mal tun sie so, als wären sie sterbenskrank, legen sich quer über die Straße und jammern gottserbärmlich. Hinterher bist du es selbst, der da liegt und stöhnt.« Er bohrte den Zeigefinger in Vitus' Seite. »So was wie dich hab ich allerdings noch nie erlebt. Du riefst irgendwas von geheimnisvollen Winkeln und Kreisen und hast dich mit einem Unsichtbaren unterhalten. Es erinnerte mich sehr stark an Hexerei.«
    »Unsinn!«
    »Doch«, beharrte der Fuhrmann, »wenn du nicht so blond wie der Erzengel Gabriel wärst, hätt ich Isabella die Peitsche gegeben, und du hättest zur Seite hüpfen müssen wie ein Frosch.«
    »Und wenn mir das nicht gelungen wäre, hättet Ihr mich überfahren? Einfach so?«
    »Beruhige dich, Söhnchen, ich hab's ja nicht getan. Außerdem scheinst du wirklich nicht zu wissen, wer sich heutzutage auf den Straßen

Weitere Kostenlose Bücher