Der Wanderchirurg
Angeln klappernden Fensterläden und schätzten den Sturm ab. »Plymouth in England, Sir«, antwortete er schließlich. »Es geht nach Hause, vorausgesetzt, dass meine Ankertrossen halten und mein Schiff nicht gegen die Kaimauer geworfen wird.«
Der Magister nahm sein Nasengestell herunter und blinzelte Vitus triumphierend zu. Der nickte. Daraufhin schob der kleine Mann die Berylle wieder an ihren Platz und blickte Loom direkt in die Augen.
»Nun, Herr Kapitän, könntet Ihr uns als Passagiere mitnehmen?«
Loom lehnte sich zurück, grinste und entblößte ein Pferdegebiss. »Euch schon, Herr Magister, gegen gute Bezahlung, versteht sich. Den Cirurgicus allerdings nicht.«
»Wie bitte?« Vitus fuhr hoch. »Mein Geld ist genauso gut wie seines!«
Loom lachte. »Ich meinte nur, dass Ihr nicht als Passagier mitfahren könnt. Als Cirurgicus hingegen seid Ihr mir höchst willkommen.«
Vitus brauchte einige Sekunden, bis er den Sinn von Looms Worten erkannt hatte, dann musste auch er lachen.
»Ihr habt einen überraschenden Humor, Herr Kapitän!«
Loom streckte seine Pranke aus. »Kost und Logis sind für Euch selbstverständlich frei. Arbeit, das heißt, die Versorgung von Verwundeten und Kranken, fällt ganz unterschiedlich an, immer dann, wenn die Situation es erfordert. Schlagt Ihr ein?«
Vitus packte Looms Rechte. »Mit Freuden! Allerdings bitte ich darum, dass der Magister Garcia, der in der Heilkunst ebenfalls bewandert ist, mein Assistent wird.«
Loom zögerte kurz, dann nickte er. »Ihr versteht Euer Geld zusammenzuhalten. Ich bin einverstanden. Allerdings nur unter einer Bedingung.«
»Ja?«
»Dass Ihr, Gentlemen, noch einen Brandy springen lasst.«
»Natürlich! Gern! Herr Wirt, noch drei Krüge Brandy!«
Pancho nahte dienernd mit dem Gewünschten.
»Kapitän Loom«, Vitus schob dem Seemann einen vollen Zinnkrug über den Tisch, »Wir freuen uns darauf, unter Euch dienen zu dürfen. Doch gestattet eine Frage: Womit handelt Ihr?«
Loom prostete den Freunden zu und nahm erst mal einen kräftigen Schluck, bevor er antwortete. »Färbeholz, Cirurgicus. Färbeholz von der brasilianischen Küste, der verteufeltsten Ecke der Neuen Welt, wo die Luft so schwül ist, dass man unter der Zunge schwitzt und das Fieber ganzjährig grassiert! Habe dort auch meinen alten Schiffsarzt begraben.« Er fuhr sich mit der Hand über das stoppelige Kinn und nahm einen weiteren Schluck. »Wo war ich? Ach ja, Färbeholz. Es ist, wie der Name schon sagt, Holz von sehr starker Eigenfarbe, meistens Rottöne, nach dem unsere heimischen Wollhändler ganz verrückt sind. Wie überhaupt viele Dinge aus der Neuen Welt in England sehr begehrt sind: Tabak, Kakao, Tierhäute, Lamawolle, flüssiger Amber, Zucker und natürlich Gold und Silber, um nur einiges zu nennen. Die spanischen Admirale, Eure hohen Herren, sehen es allerdings nicht gern, wenn sich unsereins in der Karibik herumtreibt und mit Waren von dort zurückkommt, doch solange man ihre Schatzgaleonen nicht angreift, knirschen sie nur mit den Zähnen.«
»Senores, entschuldigt die Störung.« Pancho nahte schon wieder. »Ich erwarte in wenigen Minuten weitere Gäste. Es wird wahrscheinlich sehr voll werden. Und eng. Darf ich Euch deshalb in unseren kleinen Nebenraum bitten? Er ist sehr geschmackvoll eingerichtet, ein kleiner Tisch mit hübscher Decke, gepolsterte Stühle, ein Seestück an der Wand ...«
»Wir haben nichts gegen Enge im Schankraum. Eng ist es immer am gemütlichsten, das ist jedenfalls meine Erfahrung.« Loom lehnte sich zurück und nahm einen Schluck. Vitus sah, dass sein Krug schon wieder fast leer war. Der Mann konnte saufen wie ein Loch, während er selbst den Alkohol schon ziemlich spürte. Dem Magister schien es ebenso zu gehen.
»Ihr tätet mir einen großen Gefallen, Herr Kapitän.«
»Warum sollte ich Euch einen Gefallen tun, Wirt?« Loom schien Pancho nicht sonderlich zu mögen, doch das hatte er mit Vitus und dem Magister gemeinsam. »Es wäre mir einen großen Brandy wert.«
»Aber für alle!«, stellte Loom klar.
»Nein, ich möchte ...«, wollte Vitus einschieben.
»Schon recht«, unterbrach ihn der Kapitän. »Wir kriegen noch drei Krüge Brandy und lupfen sie im kleinen Zimmer.« Er stand auf und steuerte die Tür zum Nebenraum an. »Aber dass Ihr uns keine Vertreterinnen des weiblichen Geschlechts vorenthaltet, Wirt!«
»Aber nein.« Pancho lächelte gequält. »Unter den eintreffenden Gästen sind keine Damen. Geht nur schon hinein,
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