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Der Wanderchirurg

Der Wanderchirurg

Titel: Der Wanderchirurg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Serno Wolf
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Selbst Looms Zunge wurde allmählich langsamer.
    »Erzählt, wenn Ihr mögt.« Der Magister spürte, dass Looms mitteilsame Phase begann.
    »Es war ein Orkan, wie ich ihn niemals vorher und nachher erlebt habe. Die ganze Fahrt stand von Anfang an unter einem unglücklichen Stern. Wir hatten eine Frau an Bord, irgendeine Lady, deren Namen niemand kannte. Damit nicht genug, war sie auch noch schwanger. Und natürlich musste sie das Kind ausgerechnet in der Orkannacht kriegen.«
    »Ein Kind, geboren in einer Orkannacht?«, fragte der Magister halb interessiert.
    »So ist es.« Looms Gedanken schweiften in der Vergangenheit. »Wollten eigentlich den großen Schlag über das Westmeer segeln, aber der Sturm machte uns einen Strich durch die Rechnung. Wären um Haaresbreite an der Küste der Froschfresser zerschellt, nun ja ...«
    Er nahm einen Schluck Brandy. Dem Magister fiel auf, dass es nur ein kleiner war. Auch Seebären schienen nicht unbegrenzt trinken zu können.
    »Jedenfalls«, setzte Loom seine Erzählung fort, »kam in dieser Nacht alles zusammen: der Orkan, die Frau an Bord, die Geburt, die Havarie und so weiter. Unser Schiffsarzt, der vom Kapitän beauftragt worden war, das Kind aus dem Leib der Lady zu ziehen, hatte natürlich keine Ahnung von Geburtshilfe, ach ja, so eine komische alte Schachtel war noch dabei: Hebamme war sie und hatte Haare auf den Zähnen. Sie soll sich mit dem Kapitän gehörig in der Wolle gehabt haben, na ja, da war sie bei Hippolyte Taggart genau an der richtigen Adresse. Hervorragender Seemann übrigens, bin niemals unter einem besseren gefahren. War Segelmeister damals, nun ja ...« Er genehmigte sich einen weiteren Schluck. »Die Zeit vergeht, aber ich werde nie vergessen, wie wir ums Cabo de Finisterre gehinkt sind und mit eingeklemmtem Schwanz in Vigo einliefen. Waren alles andere als ein stolzer Anblick, Lecks überall und kein Mast, keine Spiere, keine Stenge mehr ganz.«
    Ein Blitz machte für den Bruchteil einer Sekunde den Raum taghell. Loom fluchte und hielt die Hand schützend vor seine Augen. Es folgte ein Donner, der das alte Haus erbeben ließ.
    »Ihr habt eine Menge erlebt, Herr Kapitän«, schaltete Vitus sich ein. Er hatte sich gezwungen, den letzten Sätzen Looms zuzuhören, um seine wie ein Karussell kreisenden Gedanken abzuschütteln. Es brachte nichts, sich den Schädel darüber zu zermartern, welche englische Familie sein Wappen führte. Er würde es heute nicht erfahren, morgen nicht und vielleicht sogar niemals.
    »Das könnt Ihr laut sagen, Cirurgicus«, bestätigte Loom. »Doch am besten von alledem ist mir in Erinnerung geblieben, was sich im Hafen von Vigo zutrug.«
    »Was geschah dort?«
    »Nun, ich glaube, es war am zweiten Tag unserer Liegezeit, als mittags plötzlich ein großes Geschrei unter Deck anhob. Lord Pembroke war's, der Begleiter der Lady. Ein ziemlicher Fatzke, stank vor Geld, war der Eigner der Thunderbird. »Hat jemand meine, äh ... Schutzbefohlene gesehen?«, rief er ständig. Man stelle sich vor: Er sagte tatsächlich »Schutzbefohlene«, dieser Geldsack. Natürlich wusste niemand, wo die Lady war, woher auch! Der Lord hatte sie abgeschottet wie seine eigenen Eier.«
    Er rülpste laut. »Verzeiht den Ausdruck, Gentlemen.«
    Dann fuhr er fort: »Wir suchten den ganzen Tag nach ihr, Pembroke stand uns ständig auf den Füßen, jammerte und rang die Hände, faselte immer was von Verantwortung, die er übernommen hätte und welch ein Verlust es wäre, wenn die Lady abhanden käme. Nun, um es kurz zu machen: Das Einzige, was wir noch rausbekamen, war das, was uns ein Bierfahrer am Abend erzählte. Er hatte eine junge, schöne Frau auf der östlichen Ausfallstraße gesehen, die ein rotes Bündel trug und sehr entkräftet zu sein schien. Gutmütig wie er war, hatte er ihr angeboten, sie mit zurück in die Stadt zu nehmen, aber daraufhin geriet sie völlig aus dem Häuschen.« Loom zuckte mit den Schultern. »Wie die Weiber halt sind.«
    »Ein rotes Bündel trug sie?« Vitus war ein Verdacht gekommen, so ungeheuerlich, dass er ihn nicht zu Ende denken mochte. »Was für ein Rot war das? Könnte es so wie das meines Damasttuchs gewesen sein?«
    Loom schnaufte und begann seine Weste zu massieren.
    »Ihr könnt Fragen stellen, Cirurgicus! Woher soll ich das
    ...« Er unterbrach sich und sperrte den Mund auf.
    »Moment mal, Ihr wollt doch damit nicht sagen, Ihr glaubt doch nicht ...?«
    »Kapitän Loom, Sir!« Ein junger Bursche in klatschnasser

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