Der Wanderchirurg
Wir wollen tafeln, bevor wir reisen.«
»Reisen? Ich hoffte, die Herren würden uns ein paar Tage die Ehre geben?«
»Es geht nicht, Wirt. Meine Söhne und ich brechen in Kürze auf. Wir wollen noch am Abend bei den Gauklern vor der Stadt sein und bei ihnen die Nacht verbringen. Aber tröstet Euch: Vorher gebe ich Euch Gelegenheit, mir noch eine hübsche Rechnung für Speis und Trank aufzumachen.«
»Wie der Herr befiehlt.« Pancho verbeugte sich und winkte zwei Mägde heran. »Nehmt die Bestellungen der Senores auf und lest ihnen die Wünsche von den Augen ab.« Dienernd verließ er den Raum.
»Bevor ich es vergesse«, Orantes griff in seine Rocktasche, »habe hier ein kleines Mitbringsel für Vitus.«
Mit großer Geste übergab er den Tabakbeutel und die Pfeife. »Im Beutel ist ein Kraut aus Neu-Spanien, man raucht es in dieser Pfeife gegen alle Beschwerden des Leibes und der Seele.«
»Heilsamer Rauch? Interessant!« Vitus' Augen leuchteten. »Ich danke dir.«
»Keine Ursache! Allerdings musst du das Geschenk mit dem Magister teilen.« Orantes grinste. »Seine Gesundheit liegt mir genauso am Herzen.«
Die folgenden Stunden vergingen wie im Fluge. Der Nachmittag war schon halb vorbei, als Orantes plötzlich aufschreckte. »Wir reden und reden, dabei müssten wir längst unterwegs sein! Wirt, die Rechnung!«
Pancho erschien umgehend, die fetten Wangen voller Seifenschaum. Orantes hatte ihn bei seiner Rasur gestört.
»Ich habe die Rechnung schon vorbereitet, Senor.« Er verbeugte sich tief. »Allerdings, wenn Ihr gestattet, würde ich Euch gern einen Vorschlag unterbreiten: Was hieltet Ihr davon, angesichts der fortgeschrittenen Stunde, die Nacht hier zu verbringen? Ich würde Euch mein bestes Zimmer geben.«
»Kommt nicht in Frage, Wirt. Euer Angebot ehrt Euch, aber es geht nicht.« Eine Falte bildete sich über Orantes' Nasenwurzel.
»Nun, das Zimmer würde Euch nichts kosten, es wäre durch die Begleichung der Rechnung mitbezahlt.«
»Ich sagte nein.«
»Ich widerspreche Euch ungern, Senor, aber vergesst nicht, dass draußen ein Wetterumschwung stattfindet. Es könnte ungemütlich werden. Sehr ungemütlich. Das Zimmer hingegen, das ich Euch anbiete, hat einen warmen Kamin, und für, äh ... für angenehme Unterhaltung könnte ich ebenfalls sorgen.« Er zwinkerte viel sagend mit einem Auge. Langsam erhob sich Orantes und schob seinen vierkant gebauten Oberkörper vor. »Wirt«, sagte er leise,
»Ihr kennt mich nicht, deshalb will ich Euch die Versuche, mich hier festzuhalten, nicht weiter verübeln. Ich versichere Euch jedoch, wer mich kennt, der hätte schon längst sein Maul gehalten!«
»Ich verstehe.« Pancho blickte zur Seite.
»Wieviel?«
»Bitte? Was meint Ihr?«
»Die Rechnung! Wie viel bin ich Euch schuldig?«
Pancho nannte die Summe.
Orantes griff nach seiner Geldkatze und wollte zahlen, doch die Zwillinge hinderten ihn daran.
»Das übernehmen wir, Vater! Wir haben in den letzten Monaten eine hübsche Stange Geld verdient.«
»Zapperlot!« Der Landmann freute sich. »Aus Kindern werden Männer. Ich bin stolz auf euch.«
»Vielleicht hätte Orantes doch auf den Vorschlag des Wirts eingehen sollen.« Der Magister spähte durch die Fensterläden nach draußen. Die Ostseite des Hafens lag in seinem Blickfeld. Eine starke Strömung, gepaart mit einem Westwind, der bald Sturmstärke erreichen würde, drückte das Wasser gegen die Mole. Kleine Lastensegler und Leichter, die dort vertäut waren, schaukelten bereits wie Spielzeugschiffe in einem Waschzuber.
»Wenn Orantes sich etwas vorgenommen hat, dann fuhrt er es auch durch«, entgegnete Vitus. Seit der Landmann sich mit seinen Söhnen auf den Weg gemacht hatte, war über eine Stunde vergangen. »Wahrscheinlich ist er längst bei unseren Freunden und plaudert angeregt am Lagerfeuer, während wir hier festgenagelt sind, bis uns ein Schiff nach England mitnimmt.«
»Komm, verdirb dir nicht selbst die Laune.« »Hast Recht, aber diese ägyptische Finsternis geht aufs Gemüt.«
Vitus entzündete eine weitere Kerze. Schwarze Sturmwolken hatten mittlerweile das letzte Tageslicht geschluckt. Im Hafen tanzten die Hecklaternen der Schiffe wie aufgeregte Glühwürmchen.
»Sauwetter, verdammtes!« Ein stattlicher Mann stand unvermittelt im Schankraum. »It's raining cats and - dogs!« Der Ankömmling war in den Vierzigern und hatte einen sommersprossigen, roten Schädel, der in scharfem Kontrast zu der kobaltblauen Farbe seiner Kappe stand.
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