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Der Wanderchirurg

Der Wanderchirurg

Titel: Der Wanderchirurg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Serno Wolf
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Ware wechselte den Besitzer.
    Orantes tippte grüßend an seine Kappe und schlug seinem Pferd die Hacken in die Flanken. »Komm, Caballo, wir müssen weiter.« Doch nach wenigen Schritten brachte er den Hengst wieder zum Stehen. »Fast hätte ich's vergessen: Könnt Ihr mir sagen, mein Freund, wie ich zur Herberge El Ingles komme?«
    »El Ingles?«, wiederholte der Alte gedehnt. »Nicht die feinste Adresse, wenn Ihr mir die Bemerkung erlaubt. Ich an Eurer Stelle würde mir eine andere Bleibe suchen.«
    »Ich will dort nur meine Söhne abholen«, versetzte Orantes. »Sie sind gestern Abend angekommen.«
    »Dann ist es ja gut.« Man sah, dass der Alte ihn nicht verstanden hatte.
    Der Landmann wollte nicht unhöflich sein. »Meine Söhne Antonio und Lupo gehören zu den Artistas unicos, die vor der Stadt kampieren. Ich komme gerade von dort.«
    Ein warmes Gefühl durchströmte ihn, als er an das herzliche Wiedersehen mit den Gauklern dachte.
    »Ah, Los artistas unicos? Die sollen sehr gut sein!«
    »Danke.« Orantes fühlte sich als Vater geschmeichelt.
    »Eigentlich hätten die Jungen bei den anderen bleiben können, aber sie haben zwei Freunde von mir begleitet, die eine Passage nach England nehmen wollen. Der eine nennt sich Vitus, der andere Magister. Man sagte mir, alle vier wären im Ingles abgestiegen.«
    »Jetzt verstehe ich. So könnt Ihr zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Eure Söhne abholen und gleichzeitig Euren Freunden Lebewohl sagen.«
    »So ist es.«
    »Sagt Euren Freunden, sie sollen auf sich aufpassen.«
    »Wie meint Ihr das?« Angesichts der zweiten Warnung wurde Orantes hellhörig.
    »Nun, Senor, Santander ist eine Hafenstadt. Und in Hafenstädten passiert viel.« Der Blick des Alten schweifte über das Wasser bis hinaus zur Reede, wo eine große Galeone am Anker schwofte. Es hatte aufgebrist. Das windstille Wetter vom vergangenen Tag schlug um. Die See begann kabbelig zu werden. »Mehr will ich dazu nicht sagen.«

    »Vitus, mein Junge, Magister, altes Haus!« Orantes stand breitbeinig im Schankraum des Ingles und schrie seine Freude heraus. »Lasst Euch umarmen!« Er stürzte auf die beiden zu und erdrosselte sie fast.
    »Geht es Euch gut, ach, ich weiß ja, dass es euch gut geht, Arturo hat es mir erzählt, ich soll euch von allen grüßen, sie fahren morgen weiter nach San Sebastian, wo sind eigentlich meine Jungen, diese Schlitzohren, habe direkt Sehnsucht nach ihnen, was heißt Sehnsucht, wenn jemand Sehnsucht hat, ist es Ana, mein treues Weib, ich bin ja so froh, euch zu sehen, ich bin ja so froh, euch zu sehen!«
    »Wir glauben dir«, ächzte der Magister, während er sich mühsam aus Orantes Umklammerung befreite. »Ja, wie siehst du denn aus?« Orantes bemerkte erst jetzt das Nasengestell im Gesicht des Magisters. »Wie eine Mischung aus Gecko und Stubenfliege!«
    »Derlei Vergleiche bin ich mittlerweile gewohnt.« Der kleine Gelehrte lachte säuerlich. »Aber ich nehme sie gern in Kauf, denn durch die Berylle habe ich wahre Adleraugen bekommen.«
    »Deine Jungen sind im Stall bei Isabella und dem Wagen. Sie machen, wenn auch schweren Herzens, alles für eure Rückreise fertig«, sagte Vitus und atmete tief durch. Der Landmann hatte auch ihm den Brustkorb fast eingedrückt.
    »Ja, die Rückreise ...« Orantes kam langsam wieder zur Besinnung. »Wenn's nach mir ginge, würde ich noch ein paar Tage hier bleiben und mit euch abends einen trinken, aber die Pflicht ruft. Die Olivenernte steht in zwei Wochen an, das ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Wollte eigentlich noch Jose, meinen Bruder, hier besuchen, aber ich werd's wohl lassen. Weiß ja noch nicht mal, wo er wohnt, geschweige denn, ob er noch lebt.«
    »Vater!« In der Tür standen die Zwillinge.
    »Ihr Burschen!« Orantes' Augen wurden feucht. »Habe gehört, dass ihr eurem alten Vater keine Schande gemacht habt. An mein Herz!«
    Die Umarmungsprozedur wiederholte sich.
    »Wirt!«, rief der Landmann, nachdem er seine Sprösslinge freigegeben hatte. »Drei Krüge Wein vom Besten, und für meine Söhne, äh ...«
    »Ebenfalls Wein«, grinste Antonio. »Zwei Krüge, vom Besten.«
    »Ja, natürlich«, Orantes tippte sich an die Stirn, »ihr seid ja jetzt erwachsen.«
    »Kommt sofort.« Pancho pustete seine blauschwarzen Wangen auf. »Gibt es etwas zu feiern, Senor?«
    »Allerdings.«
    Orantes war in seinem Element. »Wiedersehen und Abschied zugleich! Bringt Braten, Pastete, Suppe ... oder was ihr sonst Gutes auf dem Feuer habt.

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