Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Wanderchirurg

Der Wanderchirurg

Titel: Der Wanderchirurg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Serno Wolf
Vom Netzwerk:
bewiesen. Von seinem Platz aus konnte Vitus es gut betrachten. »Ein schönes Bild«, sagte er, »es zeigt den Sturm, die See und das Schiff sehr wirklichkeitsnah.«
    »Das stimmt.« Loom und der Magister wurden jetzt auch auf das Gemälde aufmerksam. Die Magd erschien und reichte den Brandy herein. Sie ergriffen die Krüge und erhoben sich, um die Einzelheiten des Seestücks besser erkennen zu können.
    »Es handelt sich bei dem Segler um eine Karavelle«, erklärte Loom, dessen Interesse als Seemann geweckt war.
    »Solche Schiffe hatte man noch vor wenigen Jahrzehnten. Man erkennt sie in erster Linie daran, dass der Bug kein Kastell trägt. Der Freibord mittschiffs ist niedrig, die Aufbauten am Heck sind dagegen recht hoch. Karavellen hatten keine vier Masten wie viele Galeonen heute, sondern drei oder auch nur zwei. Es könnte ein Spanier sein, wenn er das rote Lateinerkreuz im Segel führen würde, dem ist jedoch nicht so«, er beugte sich interessiert vor, um noch besser sehen zu können, »statt dessen scheint eine Art Wappen darauf gemalt zu sein. Ich erkenne den englischen Löwen und eine Kugel mit zwei Segeln darin.«
    »Es ist ... es ist ...« Vitus war bleich geworden. »Sieh nur, Magister, ist dieses Wappen nicht ganz ähnlich wie meines?«
    »Was sagt Ihr?« Loom war so gefesselt, dass er nicht auf Vitus' Worte geachtet hatte. »Es könnte mein Wappen sein!«
    »Euer Wappen?« Loom konnte nicht folgen. Aufgeregt erklärten Vitus und der Magister dem Kapitän die Hintergründe.
    Als sie geendet hatten, setzte Loom krachend seinen Zinnkrug ab. »Worauf wartet Ihr noch, Cirurgicus!«, rief er mit Kommandostimme. »Wo habt Ihr Euer Wappen versteckt? Heraus damit, dass man es mit diesem vergleichen kann!« Rasch knöpfte Vitus sich Wams und Hemd auf. Das rote Damasttuch mit der blitzenden Goldstickerei wurde sichtbar.
    »Bei allen Tritonshörnern!«, entfuhr es dem Kapitän, nachdem er den Kopf ein paar Mal hin-und hergewendet hatte, um die Zeichen zu vergleichen. »Die Wappen sind absolut identisch.«
    »Wartet, ich will mal sehen, wie das Schiff heißt.« Der Magister schielte über sein Nasengestell hinweg und versuchte den Namen am Schiffsrumpf zu entziffern. Dann nahm er es ab, denn es ging besser ohne. »S-p-a-r-...«, buchstabierte er mühsam.
    Loom schob den kleinen Gelehrten mit sanfter Gewalt beiseite. »Lasst mich mal. Ich vermute, es ist ein englischer Name.« Seine Lippen formten die einzelnen Lettern zu einem ganzen Namen. »S-p-a-r-r-o-w, ja, Sparrow!«, rief er begeistert.
    »Was bedeutet das?«, fragte Vitus, dem das Wort nichts sagte. »Sparrow, Cirurgicus«, antwortete Loom, »ist der Name eines kleinen Vogels in meiner Heimat, man nennt ihn, glaube ich, in Eurer Sprache »Sperling«.«
    »Sparrow.« Vitus formte mit den Lippen das fremde Wort. »Das klingt hübsch.«
    »Mensch, Vitus!«, überlegte der Magister eifrig. »Gut möglich, dass die Sparrow einem deiner Vorfahren gehört hat, warum sonst sollte sie dieses Wappen tragen! Dein Ahnherr ist damit über die Ozeane geschippert, vielleicht, um Handel zu treiben oder neue Länder zu entdecken.«
    »Das könnte durchaus sein«, stimmte Loom zu. »Der Konstruktion nach war sie kein Kriegsschiff, viel zu behäbig gebaut, ich schätze das Verhältnis von Länge zu Breite auf höchstens drei zu eins. Außerdem war die Sparrow nur schwach bestückt. Ich erkenne gerade mal vier Geschütze.«
    »Ich muss mich erst mal setzen«, sagte Vitus. Er war englischer Abstammung.
    War er es wirklich?
    Es konnte immer noch der pure Zufall sein, dass er ein Damasttuch besaß, dessen Wappen mit dem der Sparrow übereinstimmte.
    »Ich kenne das Wappen nicht, Cirurgicus«, hörte er die Stimme von Loom wie aus weiter Ferne, »aber das muss nichts besagen, in London wäre es wahrscheinlich ein Leichtes, das ...« Ein ohrenbetäubendes Krachen über ihnen unterbrach seine Worte. Der Donner war so gewaltig, dass ihnen die Trommelfelle fast platzten. Loom schüttelte den Kopf wie eine Bulldogge und griff erneut zum Zinnkrug. »Die Gäste, die der Schleimer von Wirt erwartet, haben sich, verzeiht den Ausdruck, beschissenes Wetter für ihre Sauftour ausgesucht.«
    »Da habt Ihr wohl Recht«, pflichtete der kleine Gelehrte bei. »Wenn sie überhaupt kommen.«
    Vitus sagte nichts. Seine Gedanken waren ganz woanders. »Das Wetter erinnert mich an einen Orkan, den ich mal auf der Thunderbird abgeritten habe. Es muss zwanzig Jahre her sein. Anno 55 oder 56 war's.«

Weitere Kostenlose Bücher