Der Wanderchirurg
Senores, die Magd bringt Euch gleich das Versprochene.«
Battistas Laune hatte sich rapide verschlechtert. Seit Stunden saßen er und seine Männer in einer muffigen Abstellkammer des Ingles und fragten sich, wann endlich der Wirt ihnen Bescheid geben würde. Bescheid darüber, dass die Lieferung komplett sei.
Sie hatten gegen Mittag das große Beiboot der Carguda. de Esperanza zu Wasser gelassen und waren nur unter erheblichen Schwierigkeiten an die Mole gelangt. Wie eine Nussschale hatte das Boot im aufgewühlten Hafenbecken getanzt. Ein paar Mal hatte Pancho in der Zwischenzeit nach ihnen gesehen, die Kerzen erneuert und sie jedes Mal inständig gebeten, sich ruhig zu verhalten. Kriecherisch hatte er Wein angeboten, doch Battista hatte abgelehnt. Für das, was er vorhatte, brauchte er Männer mit klarem Kopf. Außerdem waren sie im Dienst.
Was dachte dieser Pancho sich eigentlich? Wollte der ihn nur hinhalten, oder stimmte es tatsächlich, dass er noch weitere Männer liefern konnte?
»Wie lange sollen wir hier eigentlich noch warten?«, maulte einer der Ruderer, ohne Battista direkt anzusprechen. »So lange, bis ich dir Fischkopf sage, dass du nicht mehr warten musst!«, schnauzte der Bootsmann. Er hoffte inbrünstig, dass es bald so weit sein würde. Sein Blick fiel auf die drei in Zivilkleidern steckenden Gestalten, die in tiefer Bewusstlosigkeit vor ihm auf dem Boden lagen. Jammerlappen allesamt!, wie er abfällig feststellte. Landratten ohne Seebeine, die das Geld, das er für sie gezahlt hatte, nicht wert waren. Doch es war schwer, in diesen Zeiten Männer zu pressen. Keine Seele schien zur See gehen zu wollen. Da musste eben nachgeholfen werden. Battista fragte sich zum soundsovielten Male, ob seine Besatzung bei diesem Orkan überhaupt zurückrudern konnte. Es waren zwar ausgesucht kräftige Kerle, aber bei diesen Böen? Nur gut, dass dicke Fender aus Hanf die Bootshaut vor der Molenmauer schützten. Wo Pancho nur blieb?
Pancho befand sich in der schmutzigen Küche der Herberge und betrachtete abschätzend das weißliche Pulver in der Glasflasche, die vor ihm auf dem Tisch stand. Er hatte keine Ahnung, um welche Substanz es sich bei dem Zeug handelte, er wusste nur, dass einem davon die Sinne schwanden. Vorausgesetzt, die Menge stimmte. Aber genau das war sein Problem. Würde die vorhandene Menge noch reichen, um die drei Gäste, die er extra im kleinen Zimmer abgesondert hatte, außer Gefecht zu setzen? Der große Kapitän schien Brandy wie Wasser saufen zu können. Bei ihm war er keineswegs sicher, ob das Zeug wirken würde. Anders bei seinen beiden Zechkumpanen: Der eine war recht mickrig und sah überdies höchst lächerlich aus mit dem Gestell auf seiner Nase - da musste man keine Sorge haben, dass das Zeug seinen Dienst tun würde. Auch der andere, dieser Blonde, der so ernst dreinschaute, mochte schnell bewusstlos werden. Nachdenklich kratzte sich der Wirt die blauschwarze Wange. Es hörte sich an, als zöge man einen Käse über die Reibe.
Wieder kehrten seine Gedanken zu dem ungeschlachten Engländer zurück. Je mehr er überlegte, desto sicherer wurde er, dass die Menge nicht mehr für drei ausreichte. Er musste sie auf die beiden kleineren Männer beschränken, dann würde es garantiert wirken, und er konnte Battista endlich Vollzug melden. Und seinen Lohn kassieren.
Lohn für insgesamt fünf neue Teerjacken der Cargada de Esperanza: fünf goldene, glänzende, hübsche Dublonen, eine für jeden Mann. Blieb nur die Schwierigkeit mit dem riesigen Kapitän, diesem englischen Großmaul.
Pancho war Baske und nicht Spanier, was einen großen Unterschied machte. Dennoch schätzte er die Männer von der britannischen Insel genauso wenig wie die Iberer. Engländer waren sehr von sich eingenommen, sehr mutig und sehr gefährlich - als konkurrierende Händler zur See ebenso wie als kapernde Korsaren.
Zu schade, dass er diesen Kapitän nicht zu Boden schicken konnte, aber es half nichts. Er musste ihn unter irgendeinem Vorwand fortlotsen.
Aber wie?
Plötzlich hörte der Wirt über das Heulen des Windes hinweg ein tiefes Grollen. Ein Gewitter nahte heran. Ein Gewitter mit Donner und Blitz. Das war die Lösung. Der kleine Raum war wirklich hübsch. Er schien nicht besonders oft genutzt zu werden, denn alle Einrichtungsgegenstände sahen neu aus. Bis auf ein Gemälde an der Wand, das ein Schiff im Sturm zeigte. Das Bild schien schon vor langer Zeit entstanden zu sein, wie die verblichenen Farben
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