Der Wanderchirurg
der Unterbesetztheit draußen mit Hand anlegen zu müssen!
Najera gab einen abfälligen Laut von sich, hob das Glas aus der Halterung und stellte dafür die Flasche hinein. Bei der heiligen Mutter, dann musste er eben mit sich selber trinken: »Ich leere dieses Glas auf das Gelingen der großen Unternehmung, die vor mir liegt!«, rief er gegen die Decksbalken. »Auf dass ich reich, reich, reich werde ...!«
Er stülpte seine schmalen Lippen über den Glasrand und trank mit geschlossenen Augen. »Aaah!« Das tat gut. Seine Leibschmerzen, über die er in letzter Zeit häufig zu klagen hatte und die er auch jetzt wieder spürte, ließen etwas nach. »Mutter Maria, Du Gebenedeite, ich danke Dir!« Als das Glas leer war, bemerkte er zum wiederholten Male, dass es auf seinem fest mit den Decksplanken verschraubten Tisch keine zweite Halterung gab. Suchend blickte er sich um. Keine weitere Abstellmöglichkeit, denn erheben konnte er sich nicht, schließlich war er angeschnallt, und er würde es auch nicht riskieren sich loszumachen. Viel zu gefährlich bei diesem Seegang! Nun, er würde diese Kajüte in den nächsten Monaten noch ganz genau kennen lernen - so genau wie seine eigenen, leeren Taschen.
Doch wenn erst die Sklavenladung an Bord war, würde alles anders aussehen. Sklaven von Guineas Küste, schwarzes Gold ...
Kurz entschlossen nahm Najera den Madeira wieder aus der Halterung, tat stattdessen das Glas hinein und trank den Rest des Weins aus der Flasche. Dann holte er weit mit der Rechten aus und schleuderte sie mit aller Kraft gegen das Balkenknie in der hinteren Ecke des Raums. Als er den gläsernen Splitterregen niedergehen sah, kam Genugtuung in ihm auf. Das würde eine Menge Arbeit für Jose sein! Niemand an Deck hörte sein höhnisches Lachen.
»Wie sind die Segeleigenschaften der Cargeda, Steuermann?« Najera war noch immer an seinen Stuhl geschnallt, obwohl der Orkan in der vergangenen Nacht weiter gezogen war und die See sich am Morgen beruhigt hatte. Die Galeone machte bei raumen Wind zügige Fahrt Kurs Westnordwest.
»Sie liegt recht gut im Wasser, Capitan.« Der Blick von Fernandez, einem älteren Seemann mit grauem Bart und kraftvollen Händen, ging hinaus durch die Fenster der Heckgalerie, wo am Horizont die spanische Nordküste vorbeizog. »Die Landratten auf der Werft in Santander haben getan, was sie konnten.«
Vor etwa einem Jahr hatte die Curgada de Esperanza sich noch am anderen Ende der Welt befunden. Sie war, aus Cadiz kommend und im Konvoi fahrend, im Spätherbst 1575 unbehelligt in Nombre de Dios eingetroffen. Dort, am Isthmus zwischen Nord-und Südamerika, hatte sie Wein, Olivenöl, Papier, Bücher, Kleidung und andere Gebrauchsgegenstände gelöscht - heiß begehrte Dinge für die Landsleute, die fern der Heimat Spaniens Interessen vertraten. Anschließend war sie, wie ihre Schwesterschiffe, bis unters Schanzkleid mit Gold, Silber und Juwelen beladen worden. Die Rückfahrt hatte sich ebenfalls als friedlich herausgestellt, bis dann, auf Höhe der Azoren, plötzlich Sturm aufgezogen war. Er hatte tage-und nächtelang so gewaltig geblasen, dass von der aus vierzehn Schiffen bestehenden Armada nicht weniger als fünf Segler sanken. Auch die Cargada de Esperanza hatte es fast erwischt: Vollends entmastet und nur unter einem Notrigg laufend, hatte sie Cadiz gerade noch erreicht. Neun Schiffe schwer beschädigt und fünf komplett verloren, das war die Bilanz nach der Überfahrt gewesen. Eine Bilanz, die das ewige Problem fehlender Galeonen in der Flotte noch akuter gemacht hatte. Deshalb war Befehl ergangen, die Havaristen auf die großen Häfen des Landes zu verteilen und dort so schnell wie möglich auszubessern. Die Cargada. hatte es hoch in den Norden nach Santander verschlagen, wo sich alsbald herausstellte, dass die ständig leeren Kassen der Krone keine Reparatur erlaubten. Da war Kapitän Miguel de Najera auf den Plan getreten. Er hatte das Geschäft seines Lebens gewittert, sein bescheidenes Vermögen zusammengekratzt und den Behörden angeboten, die Reparaturkosten zu übernehmen. Als Gegenleistung sollte ihm das Schiff drei Jahre lang zur Verfügung gestellt werden. Es war ein Vorschlag gewesen, der beiden Seiten half: der Krone, weil ihre Galeone kostenlos wieder instand gesetzt wurde - und Najera, weil er ein ganzes Schiff zum Reparaturpreis bekam. Zwar nur für drei Jahre, aber bis dahin, da war er sicher, würde der Sklavenhandel ihn unermesslich reich gemacht haben. So
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