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Der Wanderchirurg

Der Wanderchirurg

Titel: Der Wanderchirurg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Serno Wolf
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hätte Najera ein rundum zufriedener Mann sein können, zumal er, um die Kosten zu drücken, nur das Allernotwendigste an der Cargada hatte ausbessern lassen, wäre da nicht das leidige Problem mit der Besatzungsstärke gewesen. Battista, der Bootsmann, hatte ihm zwar bis kurz vor dem Ablegen immer wieder neue Männer versprochen, aber mehr als ein gutes Dutzend Leute waren nicht zusammengekratzt worden. Und das zu einem sündhaft teuren Preis pro Mann. Handel mit Menschen!, dachte Najera angewidert, wobei ihm nicht in den Sinn kam, dass er sich anschickte, in Kürze genau dasselbe zu tun. Er fuhr sich mit der Hand über den Leib. Die Schmerzen links unterhalb des Brustbeins waren heute erträglich.
    »Wie lange, Steuermann, brauchen wir noch bis zum Cabo de Finisterre?«, fragte er und überlegte, ob er es wagen konnte, sich vom Stuhl abzuschnallen.
    Fernandez musterte den Mann, dem er seit kurzem unterstellt war. Don Miguel, wie er sich an Land anreden ließ, war ein kleiner Mensch, dem der Wein bereits in jungen Jahren einen kugelförmigen Wanst beschert hatte. Das allein war nichts Besonderes, es gab, wie der Steuermann wusste, viele Kommandanten, die einen guten Tropfen schätzten. Najera jedoch wies eine Reihe weiterer Merkmale auf. So liebte er schreiend bunte Kleidung, die er so oft wie möglich wechselte. Heute jedoch trug er notgedrungen die Ausstattung von gestern: gelbe Schnallenschuhe, violette Seidenstrümpfe und eine bauschige Pumphose mit blau-schwarz-rot abgesetzten Streifen. Dazu ein sattgrünes Wams mit Dutzenden kleiner, pinkfarbener Stoffknöpfe. Fernandez hatte es aufgegeben, sie zu zählen, denn es war unmöglich. Dafür hatte die zweite Eigenschaft des Kapitäns gesorgt: Der Mann vermochte kaum eine Minute ruhig zu bleiben, ständig musste er sich bewegen. Es grenzte an ein Wunder, dass er es so lange angeschnallt auf seinem Stuhl ausgehalten hatte. Dazu kam, dass er dauernd Respekt von seinen Männern erheischte und zum Jähzorn neigte, wenn er glaubte, dass man ihm nicht genügend davon entgegenbrachte. Fernandez sah, wie Najera sein Glas absetzte, es wieder aufnahm und es abermals absetzte. Dann blickte der Kommandant zweifelnd auf seine am Stuhl festgeschnallten Oberschenkel und gab damit den optischen Beweis für seinen schlechtesten Charakterzug. Najera war ein feiger Hund.
    Er, Fernandez, hatte schon unter vielen Kommandanten gedient, aber selten war ihm ein solcher Versager untergekommen. Dennoch: Der Kapitän an Bord kam gleich nach Gott und König. Sein Wort war Gesetz, mochte er noch so unfähig sein. Fernandez trat auf die Galerie und spähte zur Küste hinüber.
    »Wir sind ungefähr auf Höhe der Stadt Ribadesella, Capitan«, meldete er in dienstlichem Ton, »es scheint weiter aufzuklaren. Bei anhaltendem Wind dürften wir übermorgen Nachmittag das Cabo de Finisterre erreicht haben.«
    »Gut, gut.« Najera schielte noch immer auf seine Anschnallgurte. »Ihr behauptet, es klare auf. Seid Ihr sicher?« Fernandez' erfahrenes Auge prüfte nochmals Wolken, Wind und Wellen.
    »Jawohl, Capitan, absolut.«
    »Dann schnallt mich los.«
    Fernandez näherte sich mit gebührendem Respekt.
    »Ihr gestattet?« Er löste die Riemen.
    Als Najera sich ächzend erhob und die Arme weit von sich streckte, musste Fernandez an sich halten, um nicht zurückzuspringen, denn der Kommandant stank unter den Achseln wie ein voll gemisteter Pferdestall. »Ähem ... Capitan, ich würde gern einen Strich nördlicher halten, wegen der Strömungen unter Land.« Najera nickte. Während Fernandez den entsprechenden Befehl nach draußen gab, nahm der Kommandant das Kristallglas aus der Tischhalterung und tat es, benutzt wie es war, zurück in den Nussbaumschrank. »Ist es eigentlich bei dem guten Dutzend Männern geblieben, die Battista, äh ... aufgetrieben hat?«, fragte er unvermittelt.
    Fernandez war von der Frage überrascht. Es gehörte nicht zu seinen Aufgaben, sich um die Mannschaftsstärke zu kümmern. Er war Steuermann und Navigator und das seit mehr als zwanzig Jahren.
    »Ich weiß es nicht, Capitan«, erklärte er. »Ich weiß nur, dass wir für die Cargada, mindestens hundertzwanzig Mann brauchen, sonst ist sie bei Schlechtwetter nicht beherrschbar.«
    »Hundertzwanzig Mann?« Najera fuhr sich mit der Hand über den Leib. Er wusste, dass es risikoreich war, eine weite Reise mit Unterzahl anzutreten. Man würde monatelang auf See sein, Krankheiten, Verletzungen und Todesfälle würden die Männer

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