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Der Wanderchirurg

Der Wanderchirurg

Titel: Der Wanderchirurg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Serno Wolf
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zerkleinerte er einige große Blätter des Sauerampfers und presste das Kleingehackte aus. Schließlich nahm er noch eine Hand voll Blüten des Gurkenkrauts, die er auskochte. Den so gewonnenen Sud reicherte er mit dem Sauerampfersaft an und streute zum Schluss das Perlenpulver hinein.
    »Und das soll helfen?«, fragte Solomon. Man sah ihm an, dass es ihm um die Perle Leid tat. »Es ist das teuerste, aber auch wirksamste fiebersenkende Mittel, das die Wissenschaft kennt.«
    »Ich kenne auch noch eins«, mischte sich der Magister ein, »es ist das Gespräch.«
    »Was sagst du da?«
    »Lass mich ein bisschen weitererzählen. Es tut mir gut.« Vitus seufzte. »In Gottes Namen. Aber erst schluckst du diesen Sud.«
    »Mach ich. Wo war ich stehen geblieben?« Der Magister schlürfte die Flüssigkeit. »Ach ja, ich glaube, beim 1. Kreuzzug. Wenn du mich fragst, war das der einzige ehrliche Kreuzung, der jemals stattfand, alle anderen waren nur vorgeschoben, um Geldgier und Abenteuerlust zu bemänteln.«
    »Ich habe davon gehört.« Vitus kannte sich ebenfalls in Kirchengeschichte aus.
    »Später sind die hohen Herren dann auf den Geschmack gekommen: das Kreuz ständig hoch haltend, haben sie in diesem Zeichen gemordet, gebrandschatzt und Berge von Gold angehäuft. Und immer, wenn der Kirche ein gehöriger Teil davon zufiel, hat sie das Ganze abgesegnet.«
    »Da magst du Recht haben.«
    »Vielleicht fragst du dich, warum ich dir das alles so episch breit erzähle, aber es ist ganz einfach: Auch die Inquisition ist ein Kreuzzug. Ein Kreuzzug nach innen. Inquisitio ist, wie du vielleicht weißt, lateinisch und heißt so viel wie »Befragung«, »Erkundung«.«
    »Ich kann Latein«, sagte Vitus.
    »Du warst ja Klosterschüler, insofern dachte ich es mir.« Der Magister sah ihn prüfend an. »Du hättest sonst auch nicht gelacht, als ich Nunu »Pecunia non oletl« zurief. Du warst der Einzige, der wusste, dass diese Worte
    »Geld stinkt nicht« bedeuten. Um aber meinen Gedanken vom inneren Kreuzzug zu Ende zu bringen: Ursprünglich bestand auch hier die beste Absicht, alle Andersdenkenden auf den rechten Glaubenspfad zurückzuführen, doch die Kirche erkannte alsbald, wie lukrativ es sein kann, dem vermeintlichen Sünder nicht zu vergeben, sondern ihm stattdessen seinen Besitz zu rauben. Und warum das alles? Nun, die über jeden Zweifel erhabene Mutter Kirche mit ihren Gottesstreitern, vor denen der kleine Mann in Ehrfurcht erblasst, weil er in ihnen so etwas wie den göttlichen Strahl vermutet, diese erhabene Mutter Kirche also ist in Wahrheit nichts weiter als abgrundtief schlecht. So schlecht, so böse, so verdorben, wie ein einzelner Sterblicher gar nicht sein kann. Die Kirche ist nicht Gottes-, sie ist Menschenwerk. Denn Heuchler und Meuchler sind es, die sie verkörpern. Niemand ist Gott ferner als die Kirche.«
    »Ich glaube nicht, dass alle Gottesstreiter schlecht sind«, widersprach Vitus. Er dachte an die in großer Bescheidenheit lebenden Brüder von Campodios.
    »Und ich glaube, dass du da schiefgewickelt bist!«, entgegnete der Magister eigensinnig. Er blinzelte heftig.
    »Aber wir wollen uns nicht streiten.«
    Der darauf folgende Tag sollte der schlimmste überhaupt werden. Alles, was Vitus unternommen hatte, schien umsonst gewesen zu sein. Nach einer eingehenden Untersuchung am Morgen war ihm klar geworden, dass der Magister vielleicht nur noch wenige Stunden zu leben haben würde. Seine linke Schläfenader war rot und geschwollen, und in der linken Achselhöhle saß ein dicker Knoten. Um das vernähte Kreuzmal herum hatte die Haut blasenförmige Abhebungen gebildet, die Wundränder waren violett verfärbt, aus den Nähten drang Fäulnisgeruch. Kein Zweifel: Der Magister hatte Gangrän, den gefürchteten Wundbrand. Die Säfte seines Körpers befanden sich in völliger Diskrasie. Kraftlos lag er da und glühte vor Fieber. Nicht einmal reden mochte er mehr, was besonders bedenklich war.
    Über eine Stunde saß Vitus neben ihm und grübelte. Dann stand sein Entschluss fest. Er bat die Juden, ihm dabei zu helfen, den Körper des Magisters von sämtlichen Wickeln, Salben, Rupfen und Packungen zu befreien. Alles hatte nichts genützt, also musste auch alles fort!
    Gemeinsam zogen sie ihn aus, bis er nackt und schmächtig vor ihnen lag. Er war nicht mehr bei Sinnen. Er phantasierte wirres Zeug und gestikulierte wild in der Luft. Es stand sehr schlecht um ihn. Alles musste fort, auch die Scharpie. Vitus nahm eine Pinzette

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